Meister Propper verdrückt sich

In Kambodschas Hauptstadt sorgte ein Deutscher für Sauberkeit. Jetzt ist Peter Berkholz weg – und in den Straßen der Stadt stinkt es zum Himmel  ■ Aus Phnom Penh Jutta Lietsch

Leng Chhay traut sich nicht mehr aus dem Haus. Denn alle StraßenfegerInnen und Müllkutscher der kambodschanischen Hauptstadt kennen ihn: Er hat ihnen in den letzten Monaten die Lohntüten gefüllt. Nun allerdings steht Leng Chhay mit leeren Händen da. „Heute morgen waren schon wieder die Fahrer hier und haben nach mir gefragt“, sagt er verängstigt. „Sie wollen ihr Geld, aber ich habe es doch nicht!“

Leng Chhay ist Vizechef und Finanzmanager der Umwelt-Entwicklungsgesellschaft (ENV), die in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh Straßen säubert und den Müll wegkarrt. Tagelang hat der junge Manager versucht, die schlechte Nachricht vor den Angestellten zu verbergen: Die Firma ist am Ende, Peter Berkholz, ihr deutscher Chef, hat sich nach Thailand abgesetzt. Nachdem Soldaten am 5. und 6. Juli mit Panzern, Granatwerfern und Maschinengewehren den Machtkampf der Regierung in den Straßen Phnom Penhs ausgefochten hatten, nahm der seine Frau und fuhr an geplünderten Geschäften, zerstörten Tankstellen und stinkenden Müllhaufen vorbei zum Flughafen. Damit wendete sich die erstaunliche Geschichte eines früheren DDR-Bürgers, der in Kambodscha sein Glück versucht hatte. Es ist die Geschichte eines Mannes, der glaubte, er könne in diesem von Bürgerkrieg zerstörten Land ein Geschäft aufbauen – mit nichts als Fleiß und gutem Willen.

Als Peter Berkholz im vergangenen Dezember den Betrieb übernahm, waren bereits andere Investoren gescheitert. Doch der freundliche Mann mit dem mittelständischen Bäuchlein konnte bereits auf eine ungewöhnliche Karriere zurückblicken, die ihm Selbstvertrauen einflößte. „Wissen Sie, man muß nur Zuversicht haben“, hatte er noch wenige Tage vor seiner Flucht aus Phnom Penh gesagt. Der 48jährige war einst Landmaschinenbauer, später Gastwirt. Zehn Jahre leitete er im Kreiskulturhaus des Örtchens Götz bei Brandenburg den „Konsum“. „Da habe ich gelernt zu improvisieren“, erinnert sich Berkholz. Den Sekt für Silvester begann er schon im Herbst zu horten.

Nach der Wiedervereinigung wurde er Teilhaber in einem Betrieb für Baumaterialien und verkaufte märkischen Sand. Bei einer Südostasien-Reise lernte er eine Thailänderin kennen und beschloß, in der Region zu bleiben. 1995 kam er mit dem Hamburger Ostasiatischen Verein, der deutsche Unternehmer berät, nach Kambodscha. Als er dort hörte, daß die Müllabfuhr für Phnom Penh an eine Privatfirma zu vergeben sei, bewarb er sich – und erhielt den Zuschlag für die kommenden 50 Jahre. Plötzlich war Peter Berkholz Chef der zweitgrößten Firma des Landes. 24.000 US-Dollar Konzession verlangte die Stadt im Jahr. Er verpflichtete sich, die Angestellten zu übernehmen, die Deponien in Schuß zu halten, neue Müllwagen und Mülltonnen zu importieren.

„Wir wußten nicht einmal, wie viele Haushalte es in der Stadt gab“, erinnert sich Berkholz. Wochenlang liefen seine Angestellten von Haus zu Haus, um herauszufinden, wo wie viele Menschen wohnen oder arbeiten. In dem von Krieg, Terrorherrschaft der Roten Khmer, vietnamesischer Besatzung und Flüchtlingselend gezeichneten Phnom Penh gibt es weder ein funktionierendes Katasteramt noch ein Archiv, auf das sie hätten zurückgreifen können. Ergebnis: In Phnom Penh waren 1,07 Millionen EinwohnerInnen „erfaßbar“, die am Tag rund 1.000 Kubikmeter Abfall produzierten – Gebühreneinnahmen im Wert von 340.000 US-Dollar im Monat waren zu erwarten.

Doch in Kambodscha sind solche Zahlen blanke Theorie. Die meisten Menschen sind bitter arm. Selbst staatliche Angestellte verdienen kaum mehr als dreißig Dollar im Monat – und brauchen mehrere Nebenjobs, um über die Runden zu kommen. Wer will davon auch noch etwas für die Müllabfuhr abzweigen – selbst wenn es laut städtischer Gebührenordnung nur ein Dollar pro Familie im Erdgeschoß oder achtzig Cents im ersten Stock sind? In den Slums leben zehntausende Menschen, die zwar Müll produzieren, aber nichts zahlen. Darin unterschieden sie sich nicht von den Neureichen und Militärs in ihren Villen – und auch nicht von den Bewohnern des Königspalasts, die ihren Dreck zwar degoutant fanden, die Rechnungen von Berkholz aber ebenso. „Die Armen zahlen, wenn sie können“, fand Berkholz schnell heraus. Aber wer wollte es wagen, die Militärs, die Regierungspolitiker, die „einflußreichen Persönlichkeiten“ mit ihren schwerbewaffneten Bodyguards oder die ausländischen Hotels zu ermahnen, wenn sie wieder einmal „vergaßen“, ihre Abgaben zu entrichten? Dazu kam das Problem mit den Kassierern, „die noch einmal 20 Prozent in die eigene Tasche steckten“. Berkholz und sein junger Finanzmanager Chhay stellten fest, daß nicht mal ein Fünftel des Geldes hereinfloß, mit dem sie fest gerechnet hatten. Hinzu kamen aus Deutschland importierte Probleme: Sein Partner aus Brandenburg habe ihn um seinen Anteil betrogen, berichtet Berkholz. Folge: Die ENV-Finanzdecke blieb dünn.

15 Müllwagen übernahm Berkholz von der Stadt, davon fünf ehemalige Pariser Fahrzeuge („Geschenk der Stadt Paris“) und fünf russische Wagen. 28 schrottreife Kipplaster mietete er dazu. Wenn die zu Bruch gingen, griff Berkholz, der gelernte Landmaschinenschlosser, selbst zum Schraubenschlüssel. Ziel der Lkws waren die Abfallhaufen an Straßenecken und auf Brachflächen, wo die Leute aus den Wohnungen und Geschäften ihren Müll hintragen. Nur an den Prachtstraßen, Botschaften und großen Hotels stehen vereinzelt Mülltonnen.

Mit ihren Händen ergreifen die BeladerInnen die Plasiktüten oder fassen in den losen Abfall und werfen alles in hohem Bogen auf die Ladefläche. Auf der großen Deponie im Westen der Stadt warten 280 Frauen und Kinder – und wenige Männer – mit langen Heugabeln und Plastiksäcken auf die Fuhren. „In unserem Vertrag steht auch, das wir die Wiederverwertung übernehmen können“, sagt Berkholz. „Aber wir können den Leuten doch nicht den Lebensunterhalt wegnehmen.“ Seine Hoffnungen setzte er deshalb auf die US-Hilfsorganisation World Vision, die sich um die Müllfamilien kümmert und den Kindern die Schule finanzieren wollte.

Abends saßen Frau Berkholz und einige Mitarbeiter in der Küche und zählten Geldscheine, die Kassierer von ihren Runden durch die Wohnhäuser, Märkte und Geschäfte mitgebracht hatten. „Wir haben gar kein Bankkonto gebraucht“, sagt Peter Berkholz, „das Geld wurde immer gleich als Lohn ausgegeben.“ Berkholz zahlte überdurchschnittlich gut. Seine 349 StraßenfegerInnen erhielten 40 bis 50 Dollar monatlich, Belader und Fahrer über 60.

Im Mai „waren wir fast soweit“, erinnert sich Finanzmanager Chhay. Die Einnahmen decken beinahe die laufenden Kosten: 45.000 Dollar Lohn monatlich und 50.000 für die Miete der Müllwagen und für den Diesel. Doch Berkholz kann sein Versprechen nicht halten, neue Fahrzeuge und Mülltonnen einzuführen. Verzweifelt sucht er nach Partnern, die sich an seinem Unternehmen beteiligen wollen. Die Stadtverwaltung droht, den Vertrag zu kündigen. Banken in Deutschland halten sich mit Krediten zurück, weil es noch kein Investitionsschutzabkommen mit Kambodscha gibt.

Im Juni erhält Berkholz Aufschub. Er spricht von einem Investor, Fahrzeuge sollen in Deutschland bereitstehen. Am 4. und 5. Juli schießen die Truppen der Regierung alle Hoffnungen zusammen: Im Stadtteil Tuol Kok brennen die Häuser, Soldaten ziehen plündernd durch die Straßen. Als die Kämpfe vorbei sind, schließen sich die Bewohner verängstigt in den Wohnungen ein. „Seitdem können wir nicht mehr kassieren“, sagt Chhay: „Die Leute fragen uns, wie könnt ihr so hartherzig sein, in dieser Zeit Geld von uns zu wollen?“ Seitdem wachsen in den Straßen die Berge aus Kokosnußschalen, Hausmüll und Plastiktüten, die in warmen Pfützen vor sich hin faulen.

780 Angestellte warten vergeblich auf ihren Lohn. Einige protestierten vor der deutschen Botschaft, doch außer ein paar bedauernden Worten bekamen die „wirklich armen Leute“ (Botschafter Harald Löschner) nichts.

Vom Haus des Peter Berkholz haben die Mitarbeiter mittlerweile das Firmenschild mit den grünen Blättern, blauem Wasser und dem Appell „Umwelt ist Leben – schützen wir sie“ abmontiert. Sie haben ihre Schreibtische ausgeräumt, die Ventilatoren abgestellt und die Schlüssel dem Vermieter übergeben. Im Empfangszimmer steht noch der rotgoldene Hausschrein, wo die Angestellten – wie in allen Geschäften üblich – die Geister mit Obst, Blumen und Räucherstäbchen besänftigten. An der Wand lehnt die große Karte von Phnom Penh, auf der Distrikte, Märkte und Deponien eingezeichnet sind. Das weiße Mitteilungsbrett kündigt das letzte Treffen der „Stadtbereichsleiter“ an. Berkholz ist nach wie vor verschwunden. Leng Chhay, der 1996 in Leipzig sein Examen als Betriebswirt bestand, verurteilt seinen Chef nicht. „Die Kämpfe haben alles kaputtgemacht“, sagt er. „Wir wollten doch nur eine ordentliche deutsche Firma aufbauen.“