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Meine geheimen Jugendgedichte

■ taz-Autorinnen und -Autoren öffnen ihre Schubladen — heute Folge 6: Kulturredakteurin Dorothee Hackenberg

Zur Erinnerung: Hans-Hermann Kotte wollte »dein nützlicher Idiot sein«, Katrin-Bettina Müller sorgte sich, »hoffentlich werden alle satt«, André Meier schwärmte vom »sanften Knall beim Öffnen der Bierdose«, Ute Scheub stellte fest, »die da oben woll'n alle bescheißen«, und André Beck bekannte: »es ist in mir nackte durchsichtigkeit«. Auch heute soll sich wieder das früh- bis spätpubertäre Jugendgedicht mit seinen geheimsten Leidenschaften, Antriebsfedern und vielfältigsten Verzweiflungen wie ein warmsaurer Regen niederschlagen, so daß Brüche und Verwerfungen verlassener Positionen und Stilübungen kenntlich gemacht und gemeinsam verarbeitet werden können.

Heute setzen wir unsere Serie fort mit frühen Werken der Kulturredakteurin Dorothee Hackenberg, Jahrgang 1964. Erste Natur- und Arbeitergedichte entstanden 1972-77 nahe des katholischen Bistums Würzburg und sind bislang unveröffentlicht, bis auf das Gedicht »Unten«, das in der selbst herausgegebenen, auf 1 Exemplar limitierten Monatszeitschrift Muse erschien, die ihre Leserin rund ein Jahr halten konnte.

Die Sonne lacht,

das Blümchen wacht,

der helle Tag bricht an.

Die Menschen stehn vom Bette auf,

die Arbeit wird getan.

Elend und Not

Die Hütte war alt,

die Hütte war kalt.

Die Stuben warn nicht rein,

es leuchtete der Schein

einer Lampe dem Hund,

der da lag ganz rund.

Der arme Hund

öffnete den Mund.

Heraus hing ihm die Zunge,

neben ihm stand ein Junge,

weiter weg war die Mutter

und stampfte die letzte Butter.

Da kam der Vater,

hinterher ein Kater.

Der Vater trug einen Teller,

den er geholt hatte vom Keller.

Darauf war ein Brot;

mehr hatten sie nicht, sie waren in

Not.

Man aß (jeder eine halbe Scheibe)

zum Erhalten vom Leibe.

Draußen brauste der Wind,

drinnen war ein Kind.

Das lag am Boden und starb,

weil es zu wenig Brot erwarb.

Man trauerte in der Hütte.

Da war eine Bütte.

Drin lag der Junge,

heraus hing ihm die Zunge.

Der Hund sah noch Wände,

dann war's auch mit ihm zu Ende.

Alle Welt

will nur Geld,

einfach nur, weil's ihr gefällt

zu prahlen und zu saufen,

zu wetten und zu kaufen,

zu kämpfen und zu raufen.

Doch plötzlich ist das Geld jetzt aus

und man steht da mit leeren Händ'

und dann wird man ja noch am End'

geschmissen aus dem Haus.

Doch dann fleht die ganze Welt zum

lieben Gott

und bittet ihn nur um ein Stücklein

Brot.

Doch aus dem Stücklein Brot wird

ein ganzer Stollen,

und was die Menschen dann noch

alles wollen,

das kann man gar nicht sagen,

das kann man gar nicht tragen,

das kann man gar nicht verdaun im

Magen.

Und wenn sie dann reich sind,

dann geht's von vorne los

geschwind.

Die Tulpe

Ich bin eine Tulpe,

rosarot,

hatt' viele Schwestern,

doch die sind jetzt tot.

Denn der Gärtner hat sie aus Versehn

abgemäht;

ich bin die Einzige, die noch steht.

Jetzt steh' ich ganz allein

im Garten.

Vielleicht tut der Tod

auch auf mich noch warten.

»Kommt und lobet ohne End,

lobt das heil'ge Sakrament!«

tönet die Musikkapelle

und schon wird die Kirchenschwelle

von dem Zuge überschritten.

Wartend steht die Menge, ich

inmitten.

»Heut nacht ging's rund«, sagt da ein

Mann.

»Ich war bis früh um vier am Kasten

dran.

»Wie ging es aus?« meint einer der

Mannen.

»Oh, 2:0, doch wir gewannen!«

Der Pfarrer unterm Baldachin

geht mit erhobener Monstranz dahin

und rechts und links die Feuerwehr,

sie schreitet würdig nebenher.

»Hätt Hölzenbein nicht so gefault,

wir hätten noch eins!« einer mault.

Unten

Grubendunkel,

gurgelnd gluckert

über uns der Fluß.

Braun ruhn die Stollen,

dumpf und muffig

wie in einem Bunker.

Nur ein Funken

trübes Licht

einer Grubenfunzel

huscht unruhig

über mühevoll gehaune Haufen,

huscht über tauben Stein

und dunkle Kohle.

Und dort, die Kumpel

humpeln

müde

über Schmutz und Kohlenstaub,

die Furcht im Rücken

vor dem Sturz der Wände,

vertrauen auf ein Wiederschaun

von Fraun und Kindern,

wenn endlich sie am Abend aus der

Grube dürfen —

hinaus, um abermals

zurück zu müssen.

Und Schub für Schub

des dunklen Goldes

im Aufzug rutscht nach oben,

und Stück für Stück

muß in der Glut

herausgehauen werden.

Weh dem!

der unter Schutt

dort ruht,

wo etwas Luft gestaut,

weh dem!

den unabsichtlich

man zurückgelassen —

kein Rufen nützt

dem Unglückswurm

und mutlos, ruhlos

muß vor Hunger

und vor Durst

er grauenvoll

verdarben.

Stunden sind vergangen

und wir dürfen aus der Grube.

Aus ist die Führung,

ach, und endlich wieder

sind im Hellen wir,

die gelbe Sonne

blendet, grell

leuchtet sie,

weit ist der Himmel

frei sind wir

und können endlich

wieder richtig atmen

doch unten

trauert stumm der Bergmann,

Besucher

wär er gerne auch gewesen.

Menschen gibt es ohne Zahl,

findest sie fast überall.

Einst wollt einer sein allein,

drum ins Ew'ge Eis er floh,

doch da kam ein Eskimo

und verzweifelt fuhr er heim.

Wo wollten Wölfe wohnen,

wenn Wohnungen wohnbar wären?

Wer weiß was Wölfe wissen,

wenn Wölfe Wölfe küssen.

Ein wehmütiger Wolf weint

wann immer er will.

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