Meine Straße (Teil 4): TV Spüren und Sehen
■ Wo Botho Strauß früher vom Bioladen nach Hause schlurfte
Früher müssen die Vögel einfach lauter und muß der Rest der Stadt wesentlich ruhiger gewesen sein. Oder wie sonst läßt sich erklären, daß die Familie Instetten aus Fontanes „Effi Briest“ eine Villa in der Keithstraße bezieht mit der Begründung „Du wolltest den Finkenschlag aus dem Tiergarten hören und die Papageien aus dem Zoologischen ...“? Denn auch bei gutem Willen und bester Windrichtung: Nicht mal das Trompeten der Elefanten gelangt bis in die Straße. Und dabei ist's eigentlich eine recht ruhige Gegend, gemessen daran, daß am einen Ende die Kleiststraße in den Tauentzien rauscht und am anderen die Kurfürstenstraße liegt.
Als ich vor einem Jahrzehnt in diese Straße zog, hatte ich im Vorderhaus noch einen richtigen Tante-Emma-Edeka-Laden. Jetzt ist auch hier ein Antiquitätenladen untergebracht, wie die ganze Straße außer alten Teppichen, Porzellan und Stilmöbeln einkaufstechnisch nicht viel zu bieten hat. Altes Messing, Meißner Porzellan, russische Ikonen – derlei ja. Fürs frische Frühstücksbrötchen muß man dann aber doch zu Thoben am Wittenbergplatz tapern. Bis vor einigen Jahren gab es ja noch einen großen Computershop. Aber offensichtlich scheinen Computer nicht in Antiquitätenstraßen zu passen. Das Ladenlokal steht immer noch leer.
Einmal veränderte sich plötzlich was. Drinnen wurde gestrichen, Möbel wurden eingeräumt, an der Fassade installierte man eine Leuchtschrift: „Märkische Volksbank“. Aber das Leben täuschte. Sat.1 drehte einen Krimi und brauchte für den Banküberfall eine Bankfiliale. So wurde für ein paar Drehtage Dominique Horwitz unser Nachbar, der ständig einer Geisel die Knarre an den Kopf drückte; es ballerte einen Nachmittag Platzpatronen, und im Hof nebenan landete bei Nacht ein Polizeihubschrauber. Am nächsten Morgen war alles vorbei. Wieder prangte „Zu vermieten“ am Schaufenster. Nur das Schild „Märkische Volksbank“ blieb. Bis heute. Erst vor kurzem gab es darin einen neuerlichen Banküberfall, diesmal aber für RTL.
Ohnehin ist die Keithstraße für TV-Serien eine offensichtlich gefragte Adresse. Nicht wie bei Fontane wegen der Beletage und der Nähe zum Diplomatenviertel. Offensichtlich haben wir sehr viele Nachbarn und Mieter edel eingerichteter Fünfzimmerwohnungen, die sie für teure Tagesmieten gern zum Fernsehstudio umrüsten lassen. An solchen Tagen sind alle Parkplätze gesperrt, und die Produktionsfirmen entschuldigen sich mittels dämlicher Aushänge in den Treppenhäusern für die Unannehmlichkeiten. Aber dafür würden sie auch einen hochprofessionellen und spannenden Film drehen. Schönen Dank auch. Wann seh' ich schon mal „Wolffs Revier“?
Kürzlich erst stapften zwei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“- Starletts vor meinem Haus herum, und ich stand mit meinen Einkaufstüten dumm in der Gegend herum, weil ich nicht durchs Bild laufen durfte. Da mußte man sich noch entschuldigen, weil man zufällig hier wohnt. Einen haben sie ja schon aus der Straße vertrieben. Aber sicher hatte es andere Gründe, weshalb er in die Weite der Uckermark gezogen ist.
Schräg gegenüber wohnte nämlich Botho Strauß und guckte vormittags immer von seinem Balkon auf die Straße. Nachts sah man ihn manchmal an seinem Arbeitsplatz dicht am Fenster in den PC tippen. Damals gehörte ich noch zu seinen Bewunderern und zeigte ihn einmal auch ganz stolz einem Freund. Aber der kannte ihn nicht einmal und, ehrlich gesagt, gab er optisch auch nicht viel her. Der Trenchcoat und die Hosen zu weit und ein bißchen verlottert, die Haare wirr nach hinten gestreift, schlurfte er gedankenversunken vom Bioladen nach Hause, an Biokeksen knabbernd. Wenig später stand er dann wieder auf dem Balkon und guckte starr auf die Straße und auf das Haus gegenüber. Dort befand sich, hinter schwarz verkleideten Schaufenstern, ein Pornoladen.
Botho Strauß hat aufgepaßt. In seinem Stück „Die Zeit und das Zimmer“ läßt er seine Figuren immer wieder aus dem Fenster schauen und ihre Beobachtungen erzählen, und manche Ähnlichkeit mit seinem Blick aus dem Fenster der Keithstraße ist augenfällig. „Verdrossen gehen sie hinein, und wie aus der Sparkasse mit käsiger Erledigungsgleichgültigkeit kommen sie wieder heraus, tragen ihre Filmkassetten in kleinen brauen Plastiktüten davon.“ Für solche Sätze habe ich Botho Strauß damals geliebt. Die braunen Tüten gab's wirklich und auch den Rollstuhlfahrer, den er beschreibt und der sich in den Pornoshop tragen läßt. Der kam ziemlich regelmäßig einmal die Woche mit einem Behindertentransporter, parkte den Rollstuhl vor dem Haus und verschwand für ein, zwei Stunden im Pornokino. Heute ist die schwarze Folie von dem Schaufenster entfernt, und dahinter sitzen fleißige Angestellte einer Krankenkasse vor ihren Computern und lassen sich wie die Affen im nahe gelegenen Zoo von den Passanten bei der Arbeit zusehen.
Botho Strauß indessen sitzt in der Uckermark und schaut auf grasende Schafe, und spätestens in drei, vier Wochen wird wieder ein Catering-Bus vor meinem Haus parken, und geschminkte Menschen werden auf Campingstühlen danebensitzen. Bislang habe ich eigentlich nie welche erkannt. Vielleicht müßte ich mir diese ganzen Serien einfach mal ansehen. Axel Schock
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen