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Mein Freund, das Denkmal

■ Der Lehrer Harald Vieth meint, daß „Hamburger Bäume“ eine Menge zu erzählen haben, sofern sie älter als 100 Jahre sind Von Heike Haarhoff

Sein Freund, der Baum, ist noch nicht tot. Aber, sagt Harald Vieth, Wälder sind „unbestechliche Indikatoren für die geschädigte Umwelt“. Und weil es um die bekanntlich äußerst schlecht steht, „ist jeder bei uns wachsende, über 100 Jahre alte Baum eine kleine Kostbarkeit mit zunehmendem Seltenheitswert“. Auch deswegen hat der 59jährige Lehrer aus Harvestehude knapp 200 Seiten Text, Illustrationen und Fotos den „Hamburger Bäumen“ gewidmet.

Das im vergangenen Herbst im Selbstverlag erschienene Werk liest sich jedoch ganz anders als der jährliche Waldschadensbericht der Umweltbehörde oder die Rote Liste bedrohter Pflanzen: 70 Bäume aus Hamburg, die sich durch ihr Alter, Wachstum, ihre Größe oder Schönheit besonders auszeichnen, hat Harald Vieth portraitiert. Und damit sie auch jedeR findet, sind eine genaue Standortbeschreibung und 17 Spazier-Vorschläge beigefügt, wobei ganz nebenbei die Geschichte der Bäume als Geschichte des Stadtteils erzählt wird: So beeindruckte die Tibarger Doppeleiche von 1898 in Nienstedt den Schriftsteller nicht nur wegen ihres Alters: Denn die Doppeleichen – zwei junge Eichenbäume werden dicht nebeneinander gepflanzt und an einer Sammelstelle fest zusammengebunden, so daß sie dort mit den Jahren zusammenwachsen – stellen ein Symbol für die Erhebung der Schleswig-Holsteiner gegen die Dänenherrschaft im Jahr 1848 dar: Ein Stamm symbolisiert Schleswig, der andere Holstein. „Mit ihrer Pflanzung im Jahr 1898“, gibt Harald Vieth ein Stückchen seines Wissens preis, das er bei der Durchforstung zahlreicher Archive über Bäume und Stadtteil-Geschichte erworben hat, „wurde der Tag der 50jährigen Wiederkehr der Erhebung gefeiert.“

In seinem neuesten Buch setzt der schreibfreudige Stadtteilhistoriker Vieth damit auch seine Interviews mit Zeitzeugen der Geschichte fort: „Mit dem Unterschied, daß ich diesmal nicht mit Menschen, sondern Pflanzen...“ Des 59jährigen Sprachfluß stockt. Denn „gesprochen“ haben will er mit Bäumen noch nie: „Ich finde zwar, daß ein Baum ein Denkmal ist. Viele vertrauen ihnen ihre Sorgen an oder verbinden mit ihnen als Gerichts- und Tanz-, Weihnachts-, Mai- und Richtbäume ganz bestimmte Sitten und Bräuche“, will Vieth die mythologische Bedeutung von Bäumen dennoch gar nicht bestreiten. Nur er selbst stehe der „Seele des Baums“ eben eher distanziert gegenüber. Und dann erwähnt er irgendwann doch diese merkwürdig-persönliche Verbundenheit mit der Platane vor dem Grindelhochhaus, Hallerstraße 1a: „Angst, schreckliche Angst hatte ich in jenen fürchterlichen Juli-Tagen des Jahres 1943“, läßt Vieth die fiktive Baum-Stimme seine eigenen Kindheitserinnerungen an die Kriegsjahre in Hamburg erzählen.

Noch vor der Jahrtausendwende will Harald Vieth einen Folgeband der „Hamburger Bäume“ veröffentlichen. Damit auch die in den Stadtteilen südlich der Elbe verwurzelten Zeitzeugen, die im ersten Band aus Platzgründen kaum berücksichtigt wurden, dokumentiert werden – bevor es zu spät sein könnte .

Harald Vieth: Hamburger Bäume. Zeitzeugen der Stadtgeschichte, Hamburg 1995, 42 Mark, zu beziehen bei: Harald Vieth, Hallerstr. 8, 20146 Hamburg, Tel.: 452109

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