■ Standbild: „Mehr war nicht drin“
„Menschen hautnah“, Dienstag, WDR, 20.15 Uhr
„Techtelmechtel“ hieß die Gaga-Show, die der WDR am Dienstag vor „Menschen hautnah“ ausstrahlte. Das wäre vielleicht auch ein besserer Titel für die folgende Talk-Show mit Friedrich Nowottny gewesen. Denn „hautnah“ kam man dem scheidenden WDR-Intendanten nun nicht gerade; dazu fragten Judith Schulte-Loh und Sven Kuntze nicht unverblümt genug. Schon die Studiodeko machte es unmöglich, mit Nowottny auf Tuchfühlung zu gehen; der saß seinen Interviewern gegenüber und hielt auch verbal Distanz.
Zweifelhaft freilich, ob schärfere Fragen Nowottny aus der Reserve gelockt hätten. Denn der hat lange genug den „Bericht aus Bonn“ gemacht und dabei gelernt, wie man Journalistenfragen mit nichtssagenden Antworten kontert. Eine „neue Friedfertigkeit“ habe ihm der Spiegel attestiert, sagte Kuntze, und bevor er eine Nachfrage dranhängen konnte, erwiderte Nowottny schon mit der Gelassenheit eines vor der Pensionierung stehenden ARD-Intendanten: „Ja. Das wächst einem so zu.“ Nächste Frage, bitte.
Ob es wohl die Anwesenheit von Nowottny-Nachfolger Fritz Pleitgen im Publikum war, die die Interviewer so zahm gemacht hatte? Bescheiden wollte man wissen, ob er sich vor wichtigen Entscheidungen mit seiner Frau bespreche („ja“), was er von den 68ern gehalten habe („Ich habe nie so recht verstanden, worum es da ging“) und wie denn so ein Journalist in Bonn arbeite. Antwort: Man geht halt überall hin, „man kümmert sich“, und wenn man dann am Ende Bild und Ton zusammenbringt und einen guten Film macht, kann man auf das Interesse der ZuschauerInnen hoffen, erfuhr Sven Kuntze, der früher selbst im Bonner WDR-Studio gearbeitet hat.
Kurzum: Das Ganze wirkte irgendwie einstudiert. Auf die Frage nach seinem kürzesten Interview fiel Nowottny sofort diese Sache mit Willy Brandt in Paris ein, und schwups! flimmerte die MAZ auch schon über die Studioleinwand: Nowottny stellt vier elaborierte Fragen, Brandt antwortet grinsend mit „Ja“, „Doch“, „Nein“ und „Ja“, und Nowottny erinnert sich anschließend, wie er damals sein Hemd durchgeschwitzt habe.
Ein schönes Abschiedsgeschenk für den Intendanten. Oder, wie Nowottny sagte, als Kuntze wissen wollte, ob er mit seinem Leben zufrieden sei: „Mehr war nicht drin.“ Tilman Baumgärtel
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