: Mehr psychedelic als kastriert
■ Die „Kastrierten Philosophen“ im Römer / Keine Lokalmatadoren mehr / Wollen über die Landesgrenzen hinaus, denn das ist besser, als beim Plattenlabel Pakete zu schnüren
„Als Fixpunkt schillert der Widerstreit zwischen Mann und Frau inclusive dem Wechselbad der Gefühle“, formulierte der TIP Berlin kürzlich etwas hölzern. Dieser einem Pressetext entnommene Ausspruch bezog sich auf ein norddeutsches Musikduo, dessen Fehler gewesen war, es anderen Menschen zu überlassen, über sie zu schreiben.
Die Kastrierten Philosophen haben das früher mal selbst erledigt. Zu Zeiten allerdings, als Katrin Achinger (voc, bass) und Matthias Arfmann (git, piano, voc) vom Bremer Musikpubli- kum noch recht naiv für Lokalmatadoren gehalten wurden, weil sie halt aus Verden stammen. Das ist nun alles anders geworden. Das Ur-Duo hat sich zum Quartett erweitert, mittlerweile ist Hamburg zur Heimat der vier erkoren worden, und mit der Plattenfirma NORMAL, einem Rough Trade-Ableger, haben sie einen potenten Geschäftspartner im Rücken.
„Set the controls of the heart of the sun, good body“, sagte das englische DJ-Monument John Peel vor einiger Zeit, als er einen Song der Philosophen gespielt hatte, und er wußte genau, warum. Unumwunden geben sie auch zu, von der psychedelischen Musik der sechziger Jahre beeinflußt worden zu sein, aber sie spielen diese Musik nicht einfach nach. Am Donnerstag im schwach besuchten Römer vermittelten sie eine Vorstellung von ihrer musikalischen Herangehensweise an die Endachtziger. Zu einer Beat-Vorgabe des ungemein kraftvollen Drummers Rüdiger Klose (seine voluminöse Statur ließ wohl kein anderes Spiel zu) erklangen oftmals wimmernde und wabernde Figuren
ketten der Gitarren, die das Neumitglied Frank Perrey immer wieder mit ausladenden Schlenkern einrahmte. Doch auch spärlich-rauchige Vokalparts von Katrin Achinger im Duett mit zurückgenommenen melodiösen Passagen des Pianos verhießen Spannung, die in ihrer dichten Atmosphäre manchmal leicht an Nick Cave erinnerten.
Eine phantasievollere Ausleuchtung und eine wesentlich solidere Abmischung hätte den kastrierten Vier sicherlich gut zu Gesicht gestanden. Ohnehin waren sie leicht angefaßt über das schlappe Abhängerverhalten der RömerbesucherInnen, die „vor der Bühne zu keiner Regung fähig waren, aber uns hinterher begeistert auf die Schultern klopften“, so Katrin Achinger. Mehr Begeisterung und Zuspruch versprechen sie sich von ihren Auslands-Auftritten. Denn dort warten schon mal Zusammenarbeiten mit Hermann Brood. „Das ist besser, als beim Plattenlabel Efa Pakete zu schnüren, auch wenn's Indie-Scheiben sind“, gibt Katrin offen zu. Wir glauben es ihr.
Jürgen Francke
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