: Mehr arbeiten für gleichen Lohn
■ Wollkämmerei in der Krise / Gewerkschaften stimmen Sozialabbau zu
Für das gleiche Geld länger zu arbeiten und weniger Urlaub zu haben – das droht den Beschäftigten der Bremer Wollkämmerei (BWK), wenn sie ihre Arbeitsplätze erhalten wollen. Die Betriebsleitung hat auf einer Betriebsversammlung am vergangenen Freitag der Belegschaft die Pistole auf die Brust gesetzt: Für die nächsten zwei Jahre soll im Betrieb statt 37,75 Stunden wieder 40 Stunden gearbeitet werden, statt 30 Tagen Urlaub soll nur noch 20 geben, Löhne und Gehälter werden eingefroren und mindestens 200 der 1050 Beschäftigten entlassen.
Der erwartete Aufschrei von Belegschaft und Gewerkschaften bleibt aus. Denn der Wollkämmerei steht das Wasser bis zum Hals: 45 Mio Mark Schulden haben sich in den letzten zwei Jahren aufgetürmt, die jetzt in einer Radikalkur in zwei Schritten zu jeweils 20 Mio abgebaut werden sollen: 15 Mio sollen bei den Personalkosten eingespart werden, weitere 5 Mio bei Sachkosten. Die Wollkämmerei, nach Auskunft von Klaus Becker von der Betriebsleitung der weltweit zweitgrößte Anbieter von Wollprodukten, deckt zur zeit noch etwa 10 Prozent des europäischen Marktes ab. „Alle unsere Konkurrenten haben ein viel geringeres Kostenniveau als wir,“ sagt Becker. „Die italienischen Firmen können ihre Produkte um dreißig Prozent billiger anbieten als wir.“ Durch den Preisverfall macht die Wollkämmerei pro Kilo Wolle einen Verlust von einer Mark.
„Die Lage ist wirklich sehr gespannt“, meint Hartmut Frensel, Geschäftsführer der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG), der an den Verhandlungen beteiligt ist. Die Gewerkschaften haben einen externen Gutachter bestellt und sich bestätigen lassen: „Erhebliche, schmerzhafte Einschnitte sind notwendig, sonst ist alles gefährdet.“
Dem Sozialabbau der Geschäftsleitung versuchen die Gewerkschaften mit einem Alternativkonzept zu begegnen: Flexible Arbeitszeiten, Teilzeitarbeit, Vorruhestand. „Am Urlaub werden die Kollegen nicht rütteln lassen“, meint Frensel. Und auch ein Personalabbau von 20 Prozent bei gleichbleibender Arbeitsmenge findet er nicht akzeptabel: „Die Belegschaft arbeitet sich dann kaputt.“ Das Ergebnis einer Umfrage des Betriebsrats unter den Beschäftigten, worauf sie denn am ehesten verzichten würden, lag bis Redaktionsschluß noch nicht vor. Doch leicht fällt der Verzicht nicht: „Auf der Betriebsversammlung war ganz schön was los“, meint der Gewerkschaftler.
Die Gewerkschaften wollen auch die Vorstandetage und die Anteilseigner der Aktiengesellschaft in die Sparpflicht nehmen: Vorstandsgehälter und Dividenden sollen ebenfalls gekürzt werden. Für eine Zustimmung der Gewerkschaften zu den Kürzungen, so Frensel, müsse ein Interessenausgleich vereinbart werden, der festschreibe, wie das Unternehmen in der Zukunft geführt werde. Auch ein Sozialplan muß her, meint Frensel: „Wir machen hier oft nur Katastrophenschutz und bringen Zelte und Decken. Eine solche Rezession haben wir in der Nachkriegszeit noch nicht erlebt. Jetzt gilt es nur noch, das Erreichte zu sichern – wenn das gelingt.“
Bernhard Pötter
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