Nebensachen aus Kairo: Mehr als Motorräder und Stereoanlagen
■ Wie eine TV-Serie aus Japan zur kulturellen Umorientierung der ÄgypterInnen führt und die eben noch erfolgreiche US-Seifenopfer „Die Schönen und die Kühnen“ aus dem Programm verdrängt
„Das mit diesen amerikanischen Serien im ägyptischen Fernsehen ist doch alles Stuß!“ So meinte meine Tante Tutu in Alexandria, während sie sich schwergewichtig in einen der goldlackierten, geschnörkelten Louis-XIV-Stühle niederließ vor wenigen Abenden.
Nun sind derartig antiamerikanische Aussagen aus dem Munde meiner Tante Tutu eher etwas Überraschendes. Denn bis vor kurzem zählte sie sich noch zu den verbissensten AnhängerInnen der US-Serie „The Bold and The Beautiful“, zu deutsch „Die Kühnen und die Schönen“ (die taz berichtete). Begeistert harrte sie mit Millionen anderer den angekündigten 1.000 Folgen des High-Society-Familien-Streifens, mit dem das Fernsehdirektorium das Land in den nächsten Jahren berieseln wollte.
Was war seitdem mit meiner Alexandriner Tante und dem Highlight westlicher Fernsehproduktion passiert? Schon vor wenigen Monaten kündigte sich der Niedergang des US-Kulturimperiums drohend an. Tante Tutu sprach nun zeitweilig von der Langeweile, die sie an manchen Tagen angesichts der Serie befiel. Gelegentlich gab sie verstohlen zu, auch schon mal eine Folge ausgelassen zu haben, um am nächsten Tag verwundert festzustellen, daß sie ohne weiteres den Faden der Geschichte wieder aufnehmen konnte.
Dazu kamen die Zensurbehörden, denen das Geflimmere langsam zu bunt wurde. Jede weibliche Mitspielerin spielte da irgendwann mit jedem männlichen Schauspieler rum, und das, so wurde angemerkt, entspräche eben so gar nicht den ägyptischen Gepflogenheiten. Die Antwort des ägyptischen Fernsehens war für die bewegten Bilder aus den USA ebenso brutal wie niederschmetternd. Statt siebenmal die Woche sind „Die Kühnen und die Schönen“ nur noch am Wochenende zu sehen. Und was das Unglaublichste ist: Tante Tutu findet das in Ordnung.
Das endgültige Aus für alles Amerikanische in Ägypten kam von der größten US-Konkurrenz: einem achtjährigen, ausgerechnet japanischen Mädchen. „Oshin“ heißt die neue Serie aus Nippon, in der sie die Hauptrolle spielt. „Toll“, meint Tante Tutu, „mal etwas ganz anderes“, während im Hintergrund die Brandung des Mittelmeers rauscht. Die Geschichte erzählt von dem Leben der ausgebeuteten Bauern im feudalen japanischen Kaiserreich. Die Bauern müssen sich mit Wurzeln zufrieden geben, während der Feudalherr die gesamte Ernte einkassiert. Das sind jetzt die Geschichten, die täglich das Herz meiner Tante brechen.
Als unerwarteter Nebeneffekt macht das Ganze dem TV-Entwicklungsland Ägypten auch Mut, über die zukünftige Zusammenarbeit mit einem der reichsten Industrieländer der Welt zu verhandeln. Viel zu lange seien die Gedanken der Ägypter in den Einschränkungen westlicher Kultur gefangen gewesen, heißt es in der Presse. „Wir können nicht weiterhin die nicht-westlichen Kulturen Osteuropas, Rußlands, Afrikas und Asiens ignorieren.“ Bereits jetzt sieht Ägypten sich auf dem Erfolgsweg der Länder Südostasiens.
Richtig zufrieden über diese neue Entwicklung zeigt sich auch die Abteilung „Öffentlichkeit“ der japanischen Botschaft. „Bisher“, sagt Herr Takimura triumphierend, „haben die Ägypter Japan immer nur mit Motorrädern oder Stereoanlagen verbunden.
Dabei kam der visuelle japanische Siegeszug für Herrn Takimura völlig unerwartet. Am Anfang hatten sie in der Botschaft sogar Angst gehabt, ob die tragischen Charakterzüge der Serie wirklich den munteren ägyptischen Gemütern entspreche. Jetzt klingelt das Telefon in der Botschaft Sturm, mit Leuten, die mehr über Oshin und die japanische Kultur erfahren wollen. Leider reichen Herrn Takimuras Arabischkenntnisse nicht aus, mit den Menschen auf der Straße tiefer in die Materie einzutauchen. Ein Taxifahrer faßte unlängst auf der Fahrt von der japanischen Botschaft nach Hause seine Freude über seinen fernöstlichen Fahrgast mit einem kurzen „Jaban very good“ zusammen. Karim El-Gawhary
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