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„Mehr Zukunft, weniger Sozialismus“

Der österreichische Wahlkampf in der Endphase/ Der Austromarxismus in den letzten Zügen?/ Der Rechtsaußen Haider (FPÖ) bestimmt die Themen: Ausländerpolitik und Neutralität/ ÖVP und SPÖ stellen sich auf neue Große Koalition ein  ■ Aus Wien Hazel Rosenstrauch

Die Sommerpause dauert in Österreich lange, so richtig los ging der Wahlkampf erst Anfang September. Und jetzt noch, zwei Tage vor der Nationalratswahl, bei der es kaum um grundlegende Entscheidungen geht, kann man ganze Straßenzüge in der Wiener Innenstadt entlang spazieren, ohne auf penetrante Wahlwerbung zu stoßen.

Auch Österreichs Werbefirmen haben inzwischen gelernt, daß ein Politiker, der Optimismus ausstrahlen soll, die Hand nach oben strecken muß. Kanzler Vranitzky (Sozialistische Partei Österreichs) verspricht mit gesammeltem Gesicht die „Qualität des Denkens“ und mimt Volksnähe durch Eisenbahnkäppi. Wandernd und in einem beschämend unprofessionellen Videoclip tätschelt er auch noch seiner Frau gütig den Kopf. Die Gesichter sind aufs Positive retuschiert, und einzig die Grünen haben auch Phantasie in den Wahlkampf investiert.

Es sieht nicht gut aus für die SPÖ, aber die ÖVP, also die Partei der Konservativen, wird sicher stark genug, um eine Alleinregierung zu versuchen. Wenn sie viel gewinnt, könnte sie sich mit der FPÖ zusammentun, die aber wird geführt von Jörg Haider, dem jungen dynamischen Rechtsaußen, der Höchstforderungen stellt (sein letzter Gag ist der Anspruch auf den Kanzlerposten, den er sich eventuell mit einem ÖVP-Kanzler als Teilzeitjob halbieren will). Die Variante ist noch nicht salonfähig, aber je näher nicht nur der Wahltermin rückt, sondern die diversen Skandale der SPÖ die Zuversicht schwer machen, desto mehr wachsen auch die Spekulationen über ein Bündnis zwischen ÖVP und FPÖ. Die ÖVP wirbt primär um eine stärkere Position innerhalb der großen Koalition. Wettbüros werden hier nicht eingerichtet, dazu ist der Wahlkampf zu langweilig, das Engagement der Wähler zu mäßig.

„Mir wean wol wieda a große Koalition kriegn, und dann geht die Packelei weida“, das heißt übersetzt, im wesentlichen geht es um Gewichtsverschiebungen innerhalb des SP- VP-Bündnisses, und wenn Österreich mit der landesüblichen Verspätung den konservativen Schwenk anderer europäischer Staaten nachvollzieht, so wird sich das in einer Abgabe wichtiger Ressorts äußern. Ganz oben auf der Wunschliste der ÖVP (relativ klein auf Plakaten vermerkt, aber inhaltlich bestimmend, heißt ihr Slogan „Mehr Zukunft, weniger Sozialismus“) steht das Finanzministerium, das Ferdinand Lacina, einer der letzten „linken“ (beziehungsweise relativ linken und wenigen integren) Regierungsmitlieder in der Regierung Vranitzky, geschickt zur Kontrollinstanz ausgebaut hat.

Die Sozialdemokraten, die hier noch Sozialisten heißen und als solche beschimpft werden, haben ihre Werbung ganz und gar auf Kanzler „Vranz“ abgestimmt. Die Partei ist so angegriffen, daß ihr nicht viel mehr als der Kanzlerbonus bleibt.

Nach dem Staatsbegräbnis für den „großen Österreicher“ Bruno Kreisky zeigten die Meinungsumfragen ein Plus für die Roten, die Waldheim-Reise zu Sadam Hussein ließ das Pendel wiederum Richtung ÖVP ausschlagen. Es gibt schon auch „große Themen“, dazu gehört das Thema Ausländer, die Verkürzung oder gar (Wunsch der Grünen) Abschaffung des Bundesheerdienstes, das nach ständischem Modell funktionierende „Kammernsystem“, in dem Arbeiter, Gewerbetreibende und Bauern zwangsweise organisiert sind, die Transitprobleme und mit ihnen die Umweltfragen, die für alle Parteien nunmehr zentral sind, seit Haider die Neutralität in Frage gestellt hat und der amerikanische Botschafter in die Debatte eingegriffen hat, ist auch die österreichische Verfassung diskussionswürdig geworden.

Maßgeblicher aber für die Stimmengewinne beziehungsweise -verluste könnten jene kleinen Themen werden, die durch unterschiedliche Skandale jeweils bestimmte Gruppen besonders betreffen. Und so wie in „Deutschland“, bevor es sein alles vereinigendes Thema bekommen hat, die kommunalen Themen in den Vordergrund gerückt waren, wächst hier in Österreich die Bedeutung jener Ereignisse, die — je nachdem, wo einer arbeitet, organisiert ist, Geld zahlt — den Wähler hautnah beschäftigen.

Gerade ist der frühere SP-Kanzler Sinowatz nun doch wegen seiner Äußerungen gegen Waldheim verurteilt worden. Er wird zwar in Berufung gehen, aber das Urteil macht Schlagzeilen und böses Blut bei den Sozialisten im Burgenland. Der Noricum- Waffenskandal geht immer noch auf Kosten sozialistischer Funktionäre, die „Causa Rechberger“, in der es um die sechsstelligen Monatseinkünfte des Präsidenten der Arbeiterkammer geht, hat nicht nur die sozialistische Klientel besonders „schwer enttäuscht“, sondern die Bereitschaft zur Abschaffung jener Relikte erhöht, die den sogenannten „dritten Weg“ eines österreichischen sozialistischen Kapitalismus repräsentieren. Die Pensionisten schlucken an der halben Million Schilling, die der Generalsekretär des SP-Pensionistenverbandes veruntreut hat, die spendenfreudigen SP-Genossen müssen den Skandal um die „Volkshilfe“ verkraften, in die Skandale verstrickte Funktionäre ziehen jeweils zielgruppenspezifisch traditionelle Wählerschichten ab. Was immer es an Enthüllungen und Gerichtsverfahren in den letzten Jahren gegeben hat, wird nun in die Schlacht geworfen. Und auch die Schmutzwäsche der ÖVP und FPÖ wird aufgedeckt.

Vermutlich sind diese Skandale nicht gravierender als in anderen westeuropäischen Staaten, sie werden aber zu einem Zeitpunkt an die Oberfläche gezerrt, zu dem die österreichische „Konsensdemokratie“ in Richtung auf nicht offen, aber offener ausgetragenen Interessenpolitik mutiert. Und da die Geschichte der Skandale vorwiegend in die Ära der SP-Alleinregierung zurückreichen, werden diese lokalen Themen vor allem die Sozialdemokraten Wählerstimmen kosten.

Außerdem stärken sie, unabhängig davon, wie sehr auch ÖVP und FPÖ negative Schlagzeilen provozieren, vor allem Jörg Haider, der als „Unbestechlicher“, als Symbol des Protestes gegen — wie der populistische Führer der „Freiheitlichen Partei“ mit bewußten Anklängen gern betont — „die Systemparteien“ angetreten ist. Auch wenn die Große Koalition, im schlimmsten Falle mit einem Kanzler Riegler und einem ÖVP-Finanzministerium, kommt, so wird die wirkliche Veränderung des politischen Klimas von den wahrscheinlichen hohen Stimmengewinnen Jörg Haiders ausgehen. Seine unverhohlene Ausländerfeindlichkeit, seine geschickte Rehabilitierung faschistischer Parolen und auch die Infragestellung der Österreichischen Neutralität („wenn die Deutschen ihren Friedensvertrag bekommen, muß auch Österreich endgültig von allen Einschränkungen des Staatsvertrags befreit werden“) geben einen Vorgeschmack.

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