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Mehr Stil als die Berliner

Jahrelang von den Behörden verfolgt, wird Frankreichs Techno-Szene nun offiziell gefördert. Paris vor seiner ersten Love Parade: Soviel Techno war nie zuvor  ■ Von Ariel Hauptmeier

Morgen, 14 Uhr, geht es los. Dann werden auf dem Platz Denfert-Rochereau 35 Sattelschlepper gestartet, Generatoren angeworfen, erste Platten abgespielt. Vom Pariser Süden führt die Techno- Parade in Richtung Nordosten, durch das Quartier Latin, über die Seine bis zum Place de la Nation. Ankunft der Sattelschlepper, Rollschuhfahrer, Tänzer: 18 Uhr. Auf dem Place de la Nation beginnt dann ein sechsstündiges Konzert, unter anderem mit Carl Cox, Jeff Mills und Laurent Garnier. Wenn um Mitternacht die Platten eingepackt, die Generatoren ausgestellt und die Projektoren abgebaut werden, dann öffnen drei große Partys ihre Pforten: Magic Garden, Hovek Olam und Gaia 8. Soviel Techno auf einmal – das hat es in Frankreich noch nie gegeben.

Lange Zeit lastete ein dämonischer Ruf auf der Szene. Techno wurde gleichgesetzt mit Drogenkonsum, unkontrollierter Triebenthemmung, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Raves wurden verboten, Anlagen beschlagnahmt, die Polizei errichtete Straßensperren und durchsuchte Partygäste nach Drogen. 1995, als französische Techno-Künstler bereits internationale Erfolge feierten, brachte das Innenministerium ein Rundschreiben heraus mit dem Titel: „Raves – Risiko-Situationen“. Darin eine Beschreibung einschlägiger Partyveranstalter und der „Unterstützer-Presse“ (darunter die Tageszeitung Libération). Im Anhang Vordrucke, mit denen die örtlichen Behörden eine Party ohne großen Aufwand verbieten konnten.

Wurde auf einer Party ein Dealer gefaßt, konnte der Veranstalter wegen Beihilfe zum Drogenhandel angeklagt werden. Im Mai brachte die Zeitschrift CODA, Zentralorgan der französischen Szene, eine Titelgeschichte über Ecstasy und Co. heraus, mit dem Ziel von Prävention und Aufklärung. Das Rauschgiftdezernat sah darin jedoch eine „Verführung zum Drogenkonsum“ und lud die Redakteure vor. In Kürze entscheidet sich, ob es zur Anklage kommt.

Unverständnis, Verbote, Repression. Das beförderte die Entstehung einer radikalen Untergrundszene, die kostenlose, nicht angemeldete „Free Partys“ organisiert, die bis heute immer wieder gewaltsam aufgelöst werden. Diese alternative Szene vermeidet jeden Medienkontakt, lehnt professionelle DJs ab und sieht nicht ein, Genehmigungen bei Behörden einzuholen – Feiern sei Menschenrecht. Gleichzeitig zogen sich professionelle Veranstalter wegen der häufigen Verbote zurück, die Techno-Szene blieb klein und abgeschlossen. Der Druck von außen war andererseits das Beste, was der Jugendkultur passieren konnte – in Frankreich blieb der in anderen Ländern rasch schwindende Enthusiasmus lange erhalten, die Hoffnung, daß mit der neuen Musik eine neue kleine Welt entstehe, geprägt von Respekt, Toleranz und Offenheit.

Erst vor kurzem begann eine Normalisierung. Anfang des Jahres erhielt Laurent Garnier, renommiertester Techno-Produzent des Landes, den Musikpreis „Victoire de la musique“. Im Sommer erlebte das Hexagon die ersten Mega-Raves (Exil, Astropolis, Boréalis) mit bis zu 25.000 Besuchern. Und nun die Techno-Parade in Paris. Damit tritt man endgültig aus dem Zwielicht der Heimlichkeit in die Scheinwerfer der Öffentlichkeit.

„Zehn Jahre lang haben wir gekämpft, jetzt haben wir eine phantastische Gelegenheit zu zeigen, wer wir sind“, schreibt das offizielle Programmheft. Diese Gelegenheit ist nicht zuletzt Jack Lang zu verdanken, Frankreichs Ex- Kulturminister. 1997 besuchte der Medien-Maniac die Love Parade, fuhr auf dem Panzerwagen des Berliner Ensembles mit und war begeistert. „So etwas müßte man auch in Paris machen“, träumte Lang laut in die Mikrofone der Journalisten. Die Message kam an – bei Technopole. Das ist ein Verein, den DJs, Journalisten und Veranstalter 1996 nach dem Verbot eines Raves bei Lyon gegründet hatten, um eine Lobby für die Techno- Kultur zu schaffen. Der Technopole-Vorstand wurde vorstellig beim Popkulturpaten Lang und bot sich an, eine Parade zu organisieren. Man einigte sich auf den 19. September.

„Tous à la Parade“, fordern jetzt blaue Plakate überall in Paris. Mit bis zu 200.000 Teilnehmern rechnen die Veranstalter. Natürlich schaut man nach Berlin – allerdings nicht bewundernd, sondern belustigt, bedauernd, bemitleidend. „Trop beauf, trop de fric, trop populiste“, schrieb CODA in ihrem jüngsten Editorial – die Love Parade sei zu spießig, zu kommerziell, zu populistisch. „Die Fehler der Love Parade wollen wir nicht wiederholen“, sagt Arnaud Frisch, 25jähriger Hauptorganisator und Sprecher von Technopole. „Unser Vorbild sind multiethnische Volksfeste wie der Karneval von Rio oder Notting Hill, ohne kulturellen Dünkel oder offizielle Parolen.“

Tatsächlich gelang es dem Verein Technopole, von außen kommende finanzielle Interessen weitgehend zurückzudrängen. Die Sponsoren – Medienunternehmen, die kostenlos Anzeigen schalten, und das Kulturministerium – halten sich im Hintergrund. Der Druck der großen Industrie war allerdings beträchtlich. Fernsehsender, Musik-Multis und Getränkemarken versuchten sich der Parade zu bemächtigen. Das konnte Technopole verhindern. „Ich weiß nicht, ob das im nächsten Jahr auch noch möglich sein wird“, sagt Paulo Fernandes, Chefredakteur von CODA und Mitorganisator. „Wenn wir alle zusammenhalten, gibt es keine Probleme. Aber vielleicht schert ja jemand aus.“

Ein Komitee von elf Ehrenamtlichen wählte die 35 Sattelschlepper aus. Kriterien laut Arnaud Frisch: „Künstlerische Qualität und musikalische Vielfalt, um die gesamte Techno-Szene zu repräsentieren.“ Das Spektrum der Wagen reicht vom schwulen Pariser House-Club „Le Gibus“ bis zu den „Impakt-Technokrates“, Veranstalter von Free Partys; vom Techno-Zirkus „Freak's Factory“ bis zum Psychedelic-Wagen der Gaia- Veranstalter „Tekno Tanz“. Aus Berlin ist „Eve + Rave“ angereist und fährt mit auf dem Drogenpräventionswagen des Deutsch-Französischen Jugendwerks.

Friede, Freude, Eierkuchen also, Kritik an Technopole ist bislang nicht zu hören. Anscheinend fühlen sich tatsächlich alle Stämme der Techno-Familie repräsentiert. Bedenken vor der Annäherung an Offizialkultur hat kaum jemand, alle schauen zurück im Zorn und hoffen jetzt auf eine Normalisierung. Einzig Teile der Untergrund- szene sind ausgeschert und veranstalten an diesem Wochenende parallel das Festival „Teknival Pirates“, das „irgendwo im Norden von Frankreich“ stattfindet. So die Botschaft auf einem schlecht kopierten Schwarzweiß-Flyer, der in den letzten Tagen in den einschlägigen Plattenläden auslag.

Einer der wenigen Mahner und Warner ist Thomas Bangalter von Daft Punk, der zu bedenken gibt: Jahrelang hätten die Behörden alles getan, um Techno-Veranstaltungen zu verbieten, plötzlich förderten sie die Techno-Kultur nach Kräften. „Das geht von einem Extrem ins andere. Bizarr, wie schnell das geht“, sagte Bangalter. Er sei ja auch froh über die Anerkennung der Techno-Kultur, doch müsse man sich in acht nehmen vor der Umarmung des Kulturministeriums: „Dessen Subventionen haben in den achtziger Jahren schon die Rockmusik abgetötet.“

Weitere Informationen auf folgenden Internet-Seiten:

www.reve.org von Technopole sowie www.france-techno.fr.

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