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Mehr Informationen oder mehr Rassismus?

Die Grenzen der DNA-Analyse bei Ermittlungen sind umstritten. Durch Daten zur Herkunft erhofft man präzisere Informationen zu Straftätern, andere befürchten eine Ausweitung rassistischer Stereotype

Wattestäbchen zur Analyse von DNA-­Spuren in der Kriminal­technik Foto: Jochen Tack/imago

Von Amelie Sittenauer

Seit über 30 Jahren ist die forensische, also gerichtsmedizinische DNA-Analyse in Deutschland fester Bestandteil bei der Aufklärung von Tatorten und Gewaltverbrechen. Denn die DNA gilt vielen als eine Art Superbeweis. Zum einen, weil sie in Abertausenden Zellen nachweisbar ist, in Blut, Speichel, Sperma, Haut oder Haar. Zum anderen, weil die Desoxyribonukleinsäure (DNA) ein Molekül ist, das die Erbinformation der Zellen enthält. Nur in etwa 0,1 Prozent unterscheiden Menschen sich voneinander, doch das reicht, um je­de*n einzigartig zu machen. Die DNA wird daher auch als „genetischer Fingerabdruck“ bezeichnet.

Genauso lange wie DNA-Analysen gibt es auch die Diskussion über den richtigen ethischen, politischen und rechtlichen Umgang mit dem Erbgut in der Hand von Ermittler:innen. Aktuell fordern die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg, dass zukünftig die biogeografische Herkunft (BGA) einer Person für Ermittlungen eingesetzt werden darf. Die BGA gibt Hinweise darauf, aus welcher Region der Welt die Vorfahren einer Person stammen. Bei der Justizministerkonferenz am vergangenen Wochenende erhielt der Antrag aus Süddeutschland zwar keine Mehrheit – doch die Diskussion darüber wird weitergehen.

Ein Abgleich einer DNA-Spur mit DNA-Profilen einer Datenbank ist heute Alltag. Das Bundeskriminalamt (BKA) verwaltet eine DNA-Analysedatei mit über 1,18 Millionen Datensätzen, darunter rund 790.000 Personen- und rund 388.000 Spurendaten. Im Jahr 2024 konnten bei Ermittlungen in Deutschland so über 24.900 Spuren einem Verursacher zugeordnet und mehr als 7.800 Tatzusammenhänge festgestellt werden.

Auf der Suche nach einem „Treffer“ in der Datenbank vergleichen Forensiker heute nicht mehr das Erbgut in der DNA, sondern arbeiten mit dem nichtcodierenden Teil. In ihm wiederholen sich sogenannte Nukleotidpaare, die chemischen Grundbausteine der DNA, verschieden oft. Diese sich wiederholenden Nukleotidpaare sind von Mensch zu Mensch anders, wodurch sich eine Person zuverlässig identifizieren lässt – vorausgesetzt, die Spur ist gut erhalten und stimmt mit einem Profil in der Datenbank überein. Der sogenannte codierende Teil der DNA, der die Erb­in­for­mationen enthält, wird nur auf das biologische Geschlecht untersucht.

Haut-, Haar- und Augenfarbe

Mit einer DNA-Analyse kann man allerdings mehr tun, als nur Spuren abzugleichen. Mithilfe einer sogenannten forensischen DNA-Phänotypisierung lassen sich wahrscheinliche Aussagen über die äußeren Merkmale wie Haut-, Haar- und Augenfarbe einer Person treffen und theoretisch auch die bereits erwähnte biogeografische Herkunft bestimmen. All diese Ergebnisse basieren dabei auf Wahrscheinlichkeiten, die abhängig von der Testgenauigkeit zwischen 50 und 99 Prozent liegen.

Erstmals über eine Ausweitung der DNA-Analyse diskutiert wurde im Jahr 2016, nachdem ein Geflüchteter aus Afghanistan eine Freiburger Studentin ermordet hatte. Nach dem Vorfall forderten Polizei und Politik mehr Möglichkeiten zur forensischen DNA-Phänotypisierung und begründeten dies unverblümt mit „Tatverdächtigen aus dem Mittleren Osten“. „Es schien auf einmal so, als bräuchte es für die Polizeiarbeit vor allem Technologie, die hilft, Täter und Täterinnen zu erkennen, die anders aussehen als die Mehrheit in Deutschland“, sagt Matthias Wienroth vom Centre for Crime and Policing an der Northumbria University in Newcastle. Der Sozialwissenschaftler verfolgt die Diskurse zu forensischen DNA-Technologien in Deutschland und Großbritannien seit Langem und beobachtete, wie seit 2015 mit der Aufnahme vieler Flüchtlinge in Deutschland parallel eine Polemik der fremden Gefahr entwickelt worden sei.

Trotz Warnungen aus der Zivilgesellschaft vor Racial Profiling und der pauschalen Kriminalisierung von Minderheiten wurde die DNA-Phänotypisierung für die Feststellung von Merkmalen wie Haar-, Haut- und Augenfarbe 2019 in Deutschland eingeführt. Laut BKA wurde sie in den letzten vier Jahren 27-mal genutzt. Nun wird über eine Erweiterung der DNA-Analyse um die biogeografische Herkunft (BGA) diskutiert. Wie problematisch die BGA jedoch sein kann, zeigt die Geschichte des „Heilbronner Phantoms“: Eine DNA-Spur am Tatort der 2007 ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter wurde damals untersucht und stimmte mit Spuren anderer Mordfälle überein. Daraufhin wurde die BGA in einem österreichischen Labor untersucht und die Spur einer weiblichen Person aus Osteuropa zugeordnet. Die Er­mitt­le­r:in­nen vermuteten eine Tatverdächtige aus der Community der Sintizze und Romnja und führten sogar Massentestungen durch. 2009 stellte sich schließlich heraus: Die untersuchte DNA stammte von einer Mitarbeiterin einer Firma, in der sterile Wattestäbchen hergestellt wurden. Michèle Kiesewetter hingegen wurde vom rechtsterroristischen NSU ermordet.

Katja Anslinger von der Universität München befürwortet dennoch eine Ausweitung der DNA-Analyse auf die biogeografische Herkunft. Laut der Professorin für forensische Molekularbiologie zeigen wissenschaftliche Studien, dass phänotypische Merkmale oder das Alter präziser abgeschätzt und Fehler vermieden werden können, wenn die BGA einer Person bekannt ist. „Von wissenschaftlicher Seite wäre mir viel daran gelegen, die biogeografische Herkunft mitbestimmen zu können, weil es etwas ist, das mir mehr Informationen gibt“, so Anslinger.

Be­für­wor­te­r:in­nen betonen außerdem den Mehrwert solcher Analysen bei der Identifizierung von unbekannten Toten sowie bei der Entlastung von Tatverdächtigen diskriminierter Gruppen. Als Beispiel wird häufig der Fall der ermordeten Marianne Vaatstra in den Niederlanden herangezogen. Dort wurden zunächst in der Nähe des Tatorts lebende Flüchtlinge verdächtigt, bis durch eine DNA-Analyse ein weißer Niederländer als Täter identifiziert werden konnte. Die Argumentation unterschlägt allerdings, dass die Geflüchteten womöglich aufgrund von Rassismus als Erste verdächtigt wurden.

Veronika Lipphardt forscht an der Universität Freiburg zu genetischer Geschichte und Populationsgenetik. Sie meint, es gelte, die Interessen von Angehörigen der Opfer von Gewaltverbrechen und von Gruppen, die einem verstärkten Ermittlungsdruck ausgesetzt werden, abzuwägen. „Forensische Ge­ne­ti­ke­r:in­nen und Ermittelnde sehen sich oft als Ver­tre­te­r:in­nen der ersten Gruppe und bewerten die Risiken für die zweite Gruppe als vernachlässigbar“, so Lipphardt. Dabei sollten gerade forensische Ge­ne­ti­ke­r:in­nen keine einseitige Positionierung vornehmen.

„Informationen einer DNA-Analyse können rassistische Ressentiments triggern, wenn sie unvorsichtig und missverständlich kommuniziert werden“, sagt Lipphart. Man müsse sehr vorsichtig sein, wie Technologien angewendet werden und wie über sie gesprochen wird. Eine besondere Herausforderung sieht Lipphardt darin, die Ergebnisse in eine Kategorie zu übersetzen, mit der Er­mitt­le­r:in­nen etwas anfangen können, ohne auf rassistische Stereotype zurückzugreifen. Wichtig dafür sei vor allem, dass genetische Fo­ren­si­ke­r:in­nen die Zuverlässigkeit und die Fehleranfälligkeit einer DNA-Analyse an die Ermittelnden kommunizierten. Dies geschehe laut Lipphart bisher nur unzureichend. So sieht es auch Wienroth: „Zu häufig werden Wahrscheinlichkeiten in der Polizeiarbeit als Fakten behandelt.“

„Informationen einer DNA-Analyse können rassistische Ressentiments triggern, wenn sie unvorsichtig kommuniziert werden“

Veronika Lipphardt, Populationsgenetikerin

Mehr Vertrauen herstellen

Molekularbiologin Anslinger sieht in der biogeografischen Herkunftsanalyse hingegen eine Möglichkeit, präziser zu kommunizieren, da die Grenzen der Technologie klarer sind. So könnten laut Anslinger mit den üblicherweise in Deutschland verwendeten Analysetools bei stark durchmischten Populationen bislang keine verlässlichen Informationen oder Vorhersagen für die biogeografische Herkunft generiert werden. Hätte man also die Hinweise der BGA, könnte die Aussagekraft bereits erlaubter Untersuchungen zu Haar-, Haut- und Augenfarbe besser eingeordnet werden. „Wir könnten das dementsprechend vorsichtiger kommunizieren und gegebenenfalls andere Schlüsse ziehen.“

Laut Populationsgenetikerin Lipphart muss langfristig vor allem mehr Vertrauen zwischen von Rassismus betroffenen Communitys, der Forensik und den Er­mitt­le­r:in­nen hergestellt werden, beispielsweise durch unabhängige Beratungsinstanzen. In einer Schlüsselrolle sieht Lipphardt auch forensische Ge­ne­ti­ke­r:in­nen: Sie könnten die Anliegen beider Seiten vermitteln und entsprechend sensibel kommunizieren.

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