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Mehr Gewinn mit totem Holz

Schweden versucht mit nachhaltiger Waldwirtschaft Ökonomie und Ökologie zu verbinden / Gibt es den ökologischen Kahlschlag?  ■ Aus Växjö Nicola Liebert

Von oben gleicht die Landschaft einem Mosaik. Kleine Parzellen leuchten in unterschiedlichen Grüntönen. Förster haben hier sogenannte „Altersklassenwälder“ geschaffen. Bäume gleichen Alters stehen auf einer Fläche. Einige der Parzellen sehen seltsam aus. Einzelne Fichten oder Kiefern ragen neben wenigen Birken und Espen in den Himmel, zwischen winzigen Sprößlingen liegen tote Stämme.

Was nach Landschaftsverschandelung aussieht, ist ein Kompromiß zwischen wirtschaftlichem Nutzen und Naturschutz. Statt große Flächen völlig kahlzuschalgen, lassen manche Waldbesitzer nun auf kleineren Einschlägen von etwa zwei Hektar 80 bis 320 Stämme pro Hektar stehen. Um die Rodung herum bleibt ein Saum alten Waldes erhalten.

Untersuchungen der Asa Waldforschungsstation zeigen, daß in einem solchen Schutzwald die nachwachsenden Bäume viel weniger durch Frost und Attacken des Rüsselkäfers geschädigt werden. Junge Bäume wachsen von selbst nach. Während sich auf einer traditionellen Kahlschlagfläche nur noch 160 Tier- und Pflanzenarten nachweisen lassen, überleben im Schutzwald über 300, berichtet Göran Örlander, Forstmeister der Forschungsstation. Das liegt vor allem am toten Holz, das liegenbleibt, Insekten Unterkunft und damit wiederum Vögeln Nahrung bietet. „Totes Holz ist das lebendigste“, sagt Örlander.

„Unsere Forstindustrie ist wahrscheinlich der einzige Industriezweig, der sich dem auf der Umweltkonferenz von Rio formulierten Nachhaltigkeitsansprüchen annähert“, behauptet Marie Brumeau Schrewelius, Vertreterin von „Skogsindustrierna“, dem schwedischen Zellstoff- und Papierfabrikenverband. Die wirtschaftliche Bedeutung der Holz- und Papierindustrie ist enorm. 20 Prozent der schwedischen Exporterlöse stammen aus der Forstwirtschaft, 1993 waren das 67 Milliarden Kronen (13 Milliarden Mark). Wichtigster Kunde ist die Bundesrepublik, in die ein Drittel der schwedischen Zellstoffexporte geht und ein Fünftel des Papiers, insgesamt 1,5 Millionen Tonnen im Jahr. Dazu kommen noch 1,7 Millionen Kubikmeter Holz. 70 bis 80 Prozent des Holzes werden in Schweden bislang durch Kahlschlag gewonnen. Doch das könnte sich nun tatsächlich ändern. Nachhaltige Forstwirtschaft ist das Pfund, mit dem Schweden wuchert in der Konkurrenz mit Ländern, die Raubbau betreiben. Nicht nur aus Kanada, vor allem aus den sibirischen Kahlschlägen kommt immer mehr billiges Holz nach Europa. „Unser Papier läßt sich besser verkaufen, wenn es ökologisch verträglicher produziert wird“, meint Lars Klingström, Sprecher des Holz- und Papierunternehmens „MoDo“.

Das Unternehmen ist alles andere als ein grün angehauchter Alternativbetrieb, sondern der drittgrößte Forstindustriekonzern Schwedens mit 12.000 Beschäftigten in den firmeneigenen Wäldern, in Zellstoff-, Papier- und Holzfabriken und den eigenen Transportunternehmen. Für dieses Jahr wird mit einem Umsatz von 21 Milliarden Kronen (4,2 Milliarden Mark) gerechnet. Rein wirtschaftliche Argumente sind es denn auch, die MoDo vom Sinn der angepaßten Wirtschaftsweise überzeugen. „Bislang haben wir versucht, die Natur nach den Interessen der Industrie umzubauen. Jetzt nehmen wir, was auf den Böden wächst. Das ist nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich besser, weil einfach mehr wächst, wenn es an den Standort angepaßt ist“, sagt Klingström. Die natürliche Verjüngung der Bäume spart Geld, und wenn gefallene Stämme und Äste nach Sturmschäden einfach liegen bleiben können, ist das noch billiger.

Mit diesen Ideen nähert sich der Holzkonzern der Position von Greenpeace an, die sämtlichen Kahlschlag gebannt sehen möchte. Christoph Thies, Leiter der Greenpeace-Waldkampagne, argumentiert durchaus ähnlich: „Der Wald macht das meiste von allein und noch dazu zum Nulltarif.“

Die Gleichrangigkeit von Ökonomie und Ökologie im Wald ist nun in Schweden erstmals gesetzlich verankert worden. Die bisherigen Forstgesetze konzentrierten sich auf das Nachpflanzen von Bäumen. Durchaus mit Erfolg, was die Produktion anbelangt: Seit Jahren steigt der Holzbestand, 60 Prozent des Landes sind mit Wald bedeckt. Allerdings entstanden gerade dadurch die ökologisch verödeten Nadelbaum-Monokulturen. Urwälder existieren in Schweden fast nirgends mehr.

Das neue Forstgesetz, seit Anfang des Jahres in Kraft, stellt nun die ökologische Vielfalt in den Vordergrund und schreibt anders als früher nicht mehr die Aufforstung mit Nadelbäumen vor. Die Regierung gibt jedoch keine genauen Regeln über Art der angepflanzten Bäume und Fällungsmethoden vor. Vielmehr soll den Forstbesitzern – zu drei Vierteln ist der schwedische Wald in privaten Händen – das Wissen an die Hand gegeben werden, selbst für mehr Artenvielfalt zu sorgen. Wer Holz einschlagen will, muß das dem Bezirksforstamt melden. Die Kontrollbehörde kann Ratschläge erteilen und konkrete Auflagen machen, etwa was die Zahl der Bäume anbelangt, die stehen bleiben sollen. Eine staatliche Kampagne unter dem Motto „Ein reicherer Wald“ soll ergänzend mit Kursen, Exkursionen und Broschüren zur Aufklärung der Förster und Forstbesitzer beitragen. Dazu gehört zum Beispiel auch die größere Wertschätzung von Laubbäumen, die bislang konsequent ausgejätet wurden, weil nur Fichten- und Kiefernholz wirtschaftlich interessant war. Doch inzwischen läßt sich auch mit Birken- und Espenholz gutes Papier machen. Und zahlreiche bedrohte Vögel, Insekten und Pilze sind auf Laubbäume als Heimstätte angewiesen.

Umweltschützer halten das neue Gesetz für einen Schritt in die richtige Richtung, kritisieren jedoch, daß nicht hinreichend konkrete Vorgaben gemacht werden. Kein Forstbesitzer wird gezwungen, nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden anzuwenden. Wie viele der zahlreichen kleinen privaten Waldbesitzer, in deren Händen die Hälfte der schwedischen Wälder ist, umdenken, steht noch nicht fest. Sven Nilsson vom schwedischen Naturschutzverein SNF fordert zum Beispiel, daß jeder Forstbesitzer verpflichtet werden müßte, totes Holz liegen zu lassen und mindestens zehn Prozent der Bäume auf einer Fläche stehen zu lassen – auch wenn das eine Verminderung seines möglichen Einkommens bedeutet.

Auch würden weiterhin zuwenig Bäume die Chance erhalten, sehr alt, also über 100 Jahre, zu werden. Ein weiterer Kritikpunkt ist, daß viel zuwenig Forstflächen unter absoluten Schutz gestellt werden, bisher nur 2,6 Prozent. Die von der Regierung anvisierten fünf Prozent seien ebenfalls nicht ausreichend.

Ob sich die neuen Methoden bewähren, wird sich ohnehin erst in Zukunft zeigen. Die meisten Bäume wachsen an die 100 Jahre, bevor sie geerntet werden. Erst ihre Nachkommen werden den Erfolg der Waldpolitiker von heute richtig beurteilen. Trotz aller Kritik arbeiten Umweltschützer, zum Beispiel der World Wide Found for Nature, mit der Industrie zusammen, um ein Gütezeichen für Holzprodukte aus nachhaltiger Wirtschaftsweise zu entwickeln.

Warum aber wird überhaupt weiter Kahlschlag betrieben? Auch wenn sie in Schweden inzwischen nicht mehr das vollkommene Abmähen einer Fläche bedeutet, so wird doch im Prinzip an der Methode festgehalten, denn gewinnbringender als das sorgfältige Herauspicken einzelner Bäume ist sie allemal. Claes Rülcker vom schwedischen Waldforschungsinstitut findet Kahlschläge sogar ökologisch richtig – sofern sich der Forstwirt dabei an natürlichen Prozessen orientiert. Natürlich, sagt er, seien in Schweden nun einmal häufige Waldbrände. Die Zahl der Waldbrände hat sich jedoch drastisch verringert, seit Schneisen geschlagen werden und durch Überwachung Feuer im Keim erstickt wird. Wird der Wald nicht durchschnittlich alle 100 Jahre durch Brände zerstört, hätten neben den Fichten andere Baumarten keine Chance mehr. Durch Kahlschläge müßten die natürlichen Störungen imitiert werden, glaubt Rülcker. Mit eben diesem Argument haben die Holzkonzerne ihren Raubbau gerechtfertigt. Der Forstwissenschaftler möchte unterscheiden. Wie bei einem Waldbrand nie alle Bäume absterben, müße man auch beim Abholzen einzelne Bäume verschonen und abgestorbenes Holz liegen lassen. Auf feuchten Flächen dürfe überhaupt kein Kahlschlag betrieben werden – dort habe es kaum je gebrannt. Auch wenn sich Holzkonzerne, neben MoDo auch Stora Feldmühle und SCA, zu diesen Regeln bekennen – Umweltschützer klagen nach wie über anderes Verhalten. Roger Olson vom „Taiga Rescue Network“ beobachtete zum Beispiel, daß Stora in einem der raren schwedischen Laubwälder radikal Bäume fällte. Immer noch würden Fichtenplantagen gepflanzt, wo früher Laubbäume wuchsen.

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