■ Schlechte Tradition: Mehr Gesetz statt Gummiparagraphen
Die Diskriminierung der Ausländer in Deutschland ist fast so alt wie die Deutschen selbst. Sogar Karl Liebknecht wurde einst als Ausländer am 2. Juli 1865 aus dem damaligen Preußen wegen politischer Betätigung ausgewiesen. Auf seinen Protest hin, daß er Deutscher sei und eine Erklärung haben wolle, sagte man ihm: „Wer nicht Preuße ist, ist Ausländer...“ Und Ausländern brauche man nichts zu erklären. Das ist bis heute eine beachtete Tradition. Ausländergesetze hat man damals wie heute nur dann erlassen, wenn man dadurch die Ausländer benachteiligen wollte. Die Tradition der Ausländerdiskriminierung ist deshalb parallel mit der Gesetzgebung zu sehen.
Am 5. September 1939 wurde die Kriegsverordnung über die Behandlung von Ausländern erlassen. Der Hintergrund war die Tatsache, daß ein Regelungsinstrumentarium für jene Millionen Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen benötigt wurde, die man in der deutschen Kriegswirtschaft in Zukunft anstelle der zur Wehrmacht eingezogenen deutschen Arbeiter beschäftigen wollte. Die Staatsangehörigen von „Feindstaaten“ wurden zur Internierung durch die Kreispolizei freigegeben. Im Unterschied zur Reichsdeutschen Polizeiverordnung wurde dabei nicht mehr die „Würdigkeit“, sondern „öffentliche Belange“ als verbindlicher Maßstab für die Aufenthaltsgewährung gesetzt und den Ausländerbehörden ein umfassender Ermessensspielraum eingeräumt.
Das Ausländergesetz, das 1965 erlassen wurde, hat an dieser Tradition festgehalten und somit den Zweite-Klasse-Menschen geschaffen. Das ist die Grundlage der Erniedrigung, die wir in Deutschland erleiden. Wir sind gesetzlich eine Masse, die den deutschen Belangen entsprechend „benutzt“ werden kann und die per Gesetz dem Arbeitsbereich des „Innenministeriums“ zugeordnet ist. Ausländer sind eine Gefahr, Ausländer sind ein Staatssicherheitsrisiko! Das ist die gesetzliche Grundlage der alltäglichen Diskriminierung. Hätte die Bundesrepublik tatsächlich Konsequenzen aus ihrer Vergangenheit gezogen, dürfte sie diese Tradition nicht fortsetzen. Statt dessen wäre ein Antidiskriminierungsgesetz vonnöten. Das wäre ein neuer Anfang und ein Signal für alle Menschen, daß in Deutschland nie wieder Menschen erniedrigt werden dürfen. Arzu Toker
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