: Mehr Auswahl bei den Wahlen?
■ Diskussion über neues Bürgerschafts-Wahlrecht / Listen schwächen, Personenwahl stärken
Als „Kreuz mit dem Kreuz“ hat Volker Hannemann, langjähriger Landeswahlleiter und inzwischen Staatsrat im Innenressort das Bremer Wahlrecht empfunden, als er vor 15 Jahren an die Weser umzog. Damals wurden in Bremen mit einer einzigen Stimme gleich drei Parlamente gewählt: der Landtag, die Stadtbürgerschaft und die Beiräte. Seit 1991 gibt es zumindest für die Beiräte eine Direktwahl mit eigener Stimme. Doch das ist vielen PolitikerInnen in Bremen noch lange nicht genug. Gestern diskutierten sie Möglichkeiten für „mehr Wahl bei den Wahlen“ auf einer von den Grünen organisierten Anhörung in der Bürgerschaft.
Ohne Änderungen auf Bundesebene oder in der Landesverfassung kommen dafür allerdings grundsätzlich nur zwei Möglichkeiten in Frage, erklärte Prof. Dian Schefold, Autor des Wahlrecht-Kapitels im Kommentar zur Bremer Landesverfassung: 1.) Bremen übernimmt das Wahlkreis-Modell der Bundestagswahl. Jede Wählerin hätte dann zwei Stimmen. Mit der Erststimme würden 40 Bremer DirektkandidatInnen bestimmt, mit der Zweitstimme die restlichen 40 Bremer Bürgerschaftsabgeordneten nach dem Verhältniswahlrecht an die Parteien verteilt. 2.) Bremen übernimmt das niedersächsische Kommunalwahlrecht. Dann hätte jede Wählerin drei Stimmen, die beliebig auf KandidatInnen aller Parteien verteilt werden können. Innerhalb einer Partei würden die Mandate nicht mehr nach der vorgegebenen Landesliste, sondern nach der Stimmenzahl bei der Wahl vergeben; die Stärke der Parteien insgesamt würde nach der Summe der für ihre KandidatInnen abgegebenen Stimmen berechnet.
Beide Varianten würden den Wählern gegenüber dem bisherigen Zustand mehr Mitsprache bei der personellen Zusammensetzung der Bürgerschaft geben. „Aber jede Demokratisierung dieser Art schafft auch neue Probleme“, warnte Michael Fuder, Geschäftsführer der Grünen in Niedersachsen. So würden in Niedersachsen durch das Drei-Stimmen-Modell grundsätzlich schillernde „Promis“ gegenüber fleißigen, aber öffentlich farblosen politischen BasisarbeiterInnen bevorzugt. Und ein SPD-Anhänger, der neben zwei SPD-Kandidaten auch eine Grüne wählt, muß in Kauf nehmen, daß sein Wahlzettel außerdem zu einem Drittel zur Stärkung der grünen Partei insgesamt beiträgt.
Der SPD-Abgeordnete Horst Isola warnte: „Wenn die Personenwahl kommt, wird innerhalb der Partei das Gerangel erst richtig losgehen.“ Am wichtigesten wäre dann die Präsenz in den Medien. Isola: „Und wie kommt man am besten die die Zeitung? – Indem man der eigenen Partei eins auswischt. Das hätte ein ziemlich merkwürdiges Verhältnis der Abgeordneten zu ihren Parteien zur Folge.“
Auch die Aufteilung Bremens in 40 kleine Wahlkreise hätte negative Auswirkungen. Die Grenzen müßten zumeist völlig willkürlich gezogen werden, um einigermaßen gleichgroße Wahlkreise zu erhalten. Außerdem würde die Gefahr von „Kirchturmpolitik“ wachsen, meinten mehrere PolitikerInnen.
Bei Grünen und FDP wird die Frage des Wahlrechts bereits intensiv diskutiert. Sie wollen noch vor der nächsten Bürgerschaftswahl auf die eine oder andere Art zumindest etwas „mehr Wahl bei den Wahlen“ ermöglichen. Bei SPD und CDU herrscht in der Frage dagegen bisher weitgehend Funkstille. Ase
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