LehrerInnenstreikdebatte – Teil II
: Mehr Arbeitszeit für Redakteure

betr.: „Lehrer gehen auf die Straße“, „Sind Lehrer faule Säcke?“, taz vom 12./ 13. 4. 00

Der wunderbare Christian Morgenstern schrieb 1960 die „Lehrerkomödie“, die man getrost auch aufs Heute übertragen kann: „Da die Völker nur Lehrer für 600 Mark sich leisten können, bleiben sie so dumm, dass sie sich Kriege für 60 Milliarden Mark leisten müssen.“ Wo sind die kongenialen Nachfolger Morgensterns? KLAUS TÜRK, Braunschweig

„Sind die Lehrer faule Säcke?“ Mag sein. Die beiden Autoren jedenfalls, ihres Zeichens Lehrer bzw. Bildungsspezialist, tun sich zumindest durch geistig-sprachlichen Phlegmatismus hervor. Oder wie ist sonst zu erklären, dass in beiden Texten jegliche Existenz von Frauen, sprich Lehrerinnen, und Mädchen, sprich Schülerinnen, ausgeblendet wird? [...] ANDREA KRUG, Berlin

[...] Füller hat nun den ultimativen Beweis gefunden, dass Lehrer nicht überlastet sind. Schließlich sei „in keinem Beamtenberuf das Frühpensionierungsalter so niedrig und die Zahl derer so hoch, die vorzeitig in Rente gehen!“ Fürwahr genial, aus der Tatsache, dass immer weniger Kollegen die volle Dienstzeit durchhalten, wird ein Beweis für ihre Faulheit!

Doch unser Experte weiß mehr. Die Lehrer „als Teil des bürokratischen Apparats“ müssten endlich die Organisation des Lernprozesses in die eigene Hand nehmen. Die Schule müsse endlich über die Anschaffung von Sachmitteln, treffendes Beispiel: Bleistiftspitzer, selbst entscheiden. Prima, doch das macht sie bereits! Vielleicht sollte der Experte sich mal über Sachmittelverwaltung in der Berliner Schule informieren und sich dann die Frage stellen, warum solche Aufgaben vom Senator längst in die Hände der Schule gegeben wurden?

Ein Tipp an die taz: Gebt Euren Redakteuren doch eine Stunde mehr Arbeitszeit, damit sie Zeit für die Grundaufgaben der Meinungsbildung haben: lesen und informieren! [...] JÜRGEN RAUCHFUSS, Berlin

[...] Herr Füller mag darüber spekulieren, weshalb wir Lehrer/innen mit Unterstützung von Schüler/innen und Eltern am 12. 4. in Berlin tatsächlich gestreikt haben und weiter kämpfen werden. Wir haben jedenfalls keine Demo „flugs umgewidmet“. Das Thema „Bildungsnotstand“ steht seit etwa zehn Jahren auf der Tagesordnung und wird mit jedem Jahr weiterer Verschlechterungen in diesem Bereich dringlicher. Die zusätzliche Unterrichtsstunde ist dabei nur der Tropfen, der bei vielen KollegInnen das Fass zum Überlaufen brachte.

Proteste gegen die Benutzung von Bildung und Schule als Steinbruch für verfehlte Finanzpolitik hat es in den letzten Jahren immer wieder gegeben. Nun aber wurde vom Berliner Senat noch einmal ordentlich zugelangt. Die Streichung von 1.200 Lehrer/innenstellen ist schließlich kein Pappenstiel. Und eine Unterrichtsstunde mehr je Woche ist für viele Kolleginnen wesentlich greifbarer als die zahlreichen kleinen Verschlechterungen der letzten zehn Jahre, die wir hier in Berlin erleben. Das mag man beklagen. Man muss aber auch so redlich sein und erkennen, dass Proteste der GEW und damit eines großen Teils der Berliner Lehrerinnen gegen die fast schon ritualisierten Kürzungen im Bildungsbereich seit Jahren auch ohne Erhöhung der Arbeitszeit vorgetragen wurden. Offenbar stieß dies alles auf taube Ohren. [...] MANFRED TRIEBE, Gesamtpersonalrat beim Landesschulamt, Berlin