Meeresverschmutzung: Täglich zwei Tonnen Müll für Sylt
Bald mehr Badelatschen in den Ozeanen als Fische? Experten fordern auf einer Konferenz in Hamburg: Zum Schutz der Meere muss die Hälfte der Fischereiflotte stillgelegt werden.
HAMBURG taz | Plastikenten bedrohen die Ozeane. Im Januar 1992 verlor ein Containerschiff in Seenot im Nordwest-Pazifik einen Container mit Kinderspielzeug für Badewannen. Rund 29.000 bunte Entchen, Biber und Frösche aus Kunststoff treiben seither auf den Weltmeeren herum. Selbst die arktische Nord-Ost-Passage in den Atlantik haben sie gefunden, 2008 strandeten die ersten Entchen an der US-Ostküste und den Westküsten Irlands und Großbritanniens. Zwar bescheren sie der Wissenschaft neue Erkenntnisse über Meeresströmungen, zugleich sind sie eine Gefahr für Fische und Meeressäuger: Sie zerbröseln langsam, können giftig sein und beim Verschlucken tödlich.
"Dreimal mehr Müll wird pro Jahr ins Meer gekippt als Biomasse an Fisch entnommen", konstatierte Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, am Dienstag zum Auftakt eines Symposiums zum Meeres-Umweltschutz des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg. "Badelatschen, Kanister, Plastiktüten, Kunststoffseile" gehören zu dem Zivilisationsmüll, der auch an die Strände gespült wird. Zwei Tonnen Müll pro Tag werden nach Flasbarths Angaben täglich auf der Nordseeinsel Sylt angeschwemmt, die Ostseebäder an der Lübecker Bucht geben pro Jahr etwa eine Million Euro zur Reinigung ihrer Badestrände aus: Die Zivilisation sei, so Flasbarth, zu einer "latenten Bedrohung für die Meere" geworden.
Bereits zum 20. Mal treffen sich mehrere hundert Experten zu dem jährlichen Symposium in der Konferenzetage eines Vier-Sterne-Hotels auf St. Pauli mit Blick auf den Hamburger Hafen. "Integrierte Meerespolitik ist das Thema", stellte BSH-Präsidentin Monika Breuch-Moritz zur Eröffnung der zweitägigen Konferenz klar. "Die Balance zwischen dem Schutz der Meere und ihrer Nutzung", stehe auf der Tagesordnung.
Und die sei wesentlich von der Fischerei abhängig, sagte Flasbarth, welche "die größte marine Belastung darstellt". In 40 Jahren sei "die Meeresfischerei am Ende, weil die Bestände erschöpft sind". Flasbarths Forderung: "Die Hälfte der Fischereiflotte muss stillgelegt werden."
Den Rahmen der Tagung gibt die Meeresstrategie-Richtlinie der EU aus dem Jahr 2008 vor. Sie fordert, "die biologische Vielfalt zu bewahren und vielfältige und dynamische Ozeane und Meere zur Verfügung zu haben, die sauber, gesund und produktiv sind". Bis 2020 sollen deshalb Nord- und Ostsee sowie das Mittelmeer in einen "guten Zustand" versetzt werden.
"Was das bedeutet, daran scheiden sich die Geister", stellt der Meeresbiologe Stephan Lutter von der Umweltstiftung WWF auf der Tagung klar. Nach elf Kriterien soll unter anderem die biologische Vielfalt erhalten werden, die Fischerei nur noch nachhaltig sein oder die Einleitung von Schadstoffen gegen null reduziert werden. Doch die Detailregeln, wie sie von der EU erarbeitet wurden, "bleiben in Teilen weit hinter den Standards anderer internationaler Meeresschutzabkommen zurück", tadelte Lutter. Aus Sicht der deutschen Umweltverbände müssten deutlich ambitioniertere Vorgaben aufgestellt werden.
Und die Zeit drängt. Denn bis zum 15. Juli sollen die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten sich auf klare Kriterien zur Definition und Überwachung dessen geeinigt haben, was ein "guter Zustand" sein soll.
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