Medizin gegen Sehschärfeverlust: Mehr Rendite mit Lucentis
Obwohl das Krebsmittel Avastin vor dem Erblinden schützt, können Ärzte es nicht einsetzen. Sie dürfen nur ein weitaus teureres Mittel verordnen.
Die altersbezogene Makuladegeneration (AMD) gehört zu den Hauptursachen für das Erblinden im Alter. Allein in Deutschland leben nach Expertenschätzungen rund 20.000 Menschen, die durch sie ihr Augenlicht verloren haben. Bei der AMD kommt es zu einem Untergang der hoch empfindlichen Sinneszellen im "Gelben Fleck"(Makula), der in der Netzhautmitte für die wichtigsten Sehleistungen zuständig ist. Besonders dramatisch ist der Verlauf der "feuchten AMD". Hierbei bohren sich Blutgefäße unter die Netzhaut, mit der Folge, dass Blutbestandteile und Gewebewasser die Sinneszellen regelrecht unter Wasser setzen. Schließlich geht die zentrale Sehschärfe verloren und der Patient wird praktisch blind. Ein Ende, das eigentlich mit allen Behandlungsoptionen verhindert werden sollte.
Doch hierzulande tobt stattdessen ein Kampf um Renditen, Märkte und Gesetzeslücken. So gibt es schon seit längerem ein Präparat namens Avastin. Es hemmt das unkontrollierte Wachstum von Blutgefäßen und ist daher bei AMD eine echte Option, um den Verlust der Sehschärfe hinauszuzögern. Der Haken daran: Das Mittel ist lediglich als Krebsmittel zugelassen.
Eine entsprechende Erweiterung der Zulassung müsste von Avastin-Hersteller Roche beantragt werden - doch der zeigt bisher kein Interesse daran. Was nach Ansicht von Pharma-Experten daran liegt, dass seit Anfang 2007 ein AMD-Medikament namens Lucentis auf dem Markt ist. Hersteller ist Novartis, dem ein Drittel der stimmberechtigten Aktien bei Roche gehören. Das neue Mittel wirkt ähnlich wie Avastin, ist aber deutlich teurer. Wie Pharmakologe Professor Ulrich Schwabe von der deutschen Arzneimittelkommission vorrechnet, müssten die Krankenkassen rund 9 Milliarden Euro pro Jahr ausgeben, um deutsche AMD-Patienten mit Lucentis zu behandeln. "Wenn stattdessen Avastin eingesetzt wird, würde das nur 32 Millionen Euro kosten", so Schwabe.
Doch das alte, viel preiswertere Mittel darf bei AMD nicht zum Einsatz kommen. Bis Anfang 2007 war das noch möglich, im Rahmen der sogenannten Off-Label-Nutzung, wonach der Arzt auch nicht zugelassene Medikamente für eine bestimmte Krankheit verordnen darf, sofern keine Alternative dazu existiert. Doch seitdem Lucentis auf dem Markt ist, ist diese Lücke geschlossen. Wenn Ärzte und Krankenkassen jetzt eine AMD-Behandlung mit Avastin vereinbaren, müssen sie mit einer Klage von Novartis rechnen.
Wann dieser für Patienten und Ärzte unerträgliche Zustand beendet sein wird, ist offen. Novartis hat mittlerweile den Krankenkassen angeboten, ab 315 Millionen Euro pro Jahr alle weiteren Kosten zu übernehmen. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt plädiert hingegen für eine Zwangszulassung von Avastin, doch juristisch wird dieser Schritt kaum durchsetzbar sein. Zudem müsste vorher klinisch nachgewiesen sein, dass Avastin tatsächlich wirksam ist. Eine entsprechende Studie wird derzeit, auf Betreiben der Krankenkassen, am Zentralkrankenhaus in Bremen vorbereitet.
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