: Medienmarkt hat keinen Platz für Bedenken
■ Auf der „Online 87“ in Hamburg, Kongreßmesse für Kommunikation, war zwar viel von „Kulturwirtschaft“ die Rede, aber Warnungen, durch grenzüberschreitende Übetragungstechniken kulturelle Vielfalt einzuebnen, wollte niemand hören
Aus Hamburg Thomas Walde
Uniform in elegante Anzügen gekleidet, machen sich Manager daran, ruhig und ohne jede Emotion die Welt von morgen zu planen. Vom „Technologie– und Informationsmanagement“ bis hin zu den „Instrumenten weltweiter Kommunikation“ haben insgesamt 250 Referenten auf der heute in Hamburg zu Ende gehenden größten Kongreßmesse für technische Kommunikation „Online“ gezeigt, wie die Zukunft der Freizeit– und Bürogesellschaft aussehen wird. Die Liste der repräsentierten Firmen liest sich wie ein „Who is Who“ der deutschen Informationswirtschaft: Siemens, IBM, Bertelsmann, Springer, Post, dazu Universitäten, Polizei und Abgeordnete haben gemeinsam mit 2.500 anderen Anwendern moderner Nachrichtentechnik ihre Vertreter entsandt. Bereits zu Beginn des Kongresses deutete sich an, daß beim Entwickeln neuer Techniken und deren Vermarktung für kulturelle Bedenken kein Platz ist. Der Appell des ARD–Vorsitzenden Willibald Hilf, „durch die neuen grenzüberschreitenden Übertragungstechniken darf die kulturelle Vielfalt nicht eingeebnet“ und die Kultur „dem kommerziellen Kalkül nicht total ausgeliefert werden“, wurde vom parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Martin Grüner, prompt zurückgewiesen: „Die Kulturwirtschaft ist einem Prozeß der Technik und der Internationalisierung der Kulturmärkte ausgesetzt. Die Wettbe werbsfähigkeit der deutschen Kulturwirtschaft zu stärken, ist eine politische Aufgabe“. Der Vorsitzende des Kongreßbeirats, Hans–Jörg Bullinger, nahm Grüners Rede „mit Genugtuung“ auf. Hilfs Sorge, die europäischen Kulturen könnten „in ihrem Lebensnerv getroffen“ werden, interessierte offensichtlich niemanden: Noch am gleichen Tag machten sich die Teilnehmer daran, den wirtschaftlichen Nutzen des Pay–TVs nach amerikanischem Vorbild zu erörtern, Medienkonsumenten waren wieder „Endverbraucher“. Nur wenige hundert Meter weiter bekamen die „Endverbraucher“ in den Hamburger Messehallen einen Eindruck davon, was die Techniker und Kaufleute sich unter „Kulturwirtschaft“ vorstellen. Auf 3.000 Quadratmetern zeigten 75 Computerfirmen die neue Technik für Feizeit und Büro. Der Hit beim privaten Publikum war ein Konverter, der an jedes moderne Farbfernsehgerät angeschlossen werden kann und mittels einer rotgrünen Brille ein dreidimensionales Fernsehbild liefert. Die Kongreßteilnehmer der „Online 87“ gingen an derlei „Weltneuheiten“ eher achtlos vorbei. Sie interessierten sich für die Produkte der technischen Kommunikation, die ihnen schnelleren Zugang zu Daten– und Informationsbanken für die betriebliche Nutzung erlauben. Die Frage, ob in der volltechnisierten Büro–Welt von morgen noch Platz für selbstbestimmte Arbeit von Menschen ist, interessierte die Herren im Einheitslook kaum: „Manpower“ ist ein Kostenfaktor. Sie zeichneten das Bild der Büro–Zukunft in den schönsten Farben: „Es ist segensreich, daß sich hier die Möglichkeit auftut, diese modernen Sklaven Arbeiten tun zu lassen, die sich stets wiederholen“, dadurch würden den Menschen „Kopf und Hände frei für kreative Dinge“. Sogar „umweltschonend“ ist das Büro der Zukunft: Man brauche kein Papier mehr, zudem könne Energie gespart werde, „weil die Telekommunikation Wege überflüssig machen kann, die man sonst mit Bahn, Auto und Flugzeug zurücklegen müßte“, brachte Staatssekretär Grüner ihre Ideologie auf den Punkt. Auch an den Datenschutz wurde auf der „Online–Messe“ gedacht: Firmen bieten Computerprogramme an, die die Datenbanken und das Know–how vor fremdem Zugriff schützen sollen. Der Gedanke, daß politische Entscheidungen ihren schönen technischen Entwicklungen einen Strich durch die Konsumwirtschafts–Rechnung machen könnte, kam niemandem. Bei ihren Vorträgen (“Freier Dienstleistungsverkehr und Wettbewerb nach EG–Recht“, „Die Liberalisierung des Fernmeldewesens aus der Sicht eines Großanwenders“) wird deutlich, daß sie sich für die Zukunft sogar eine Erleichterung ihrer Geschäfte durch den Wegfall stattlicher Vorgaben und Monopole erhoffen. Eine wirkliche Behinderung können diese ohnehin kaum mehr darstellen: Man forscht, entwickelt und verkauft so schnell, daß eine zeitgleiche öffentliche Diskussion darüber nicht mehr stattfinden kann, die Macht des Faktischen ist stärker. Die Kongreß–Messe „Online 87“ wird ihren Teil dazu beigetragen haben. Mit neuen Erkenntnissen, Erfahrungen und Markstrategien kehrten die Teilnehmer nach Ansicht des Beirats–Vorsitzenden Bullinger mit einer „Verstärkung unserer Motivation“ an ihre heimischen Arbeitsplätze zurück, um weiter an der schönen neuen Welt von nmorgen zu arbeiten.
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