Medienforscher zur CDU-Kampagne: "Themenkarrieren sind wie Erkältungen"
Die Diskussion über Jugendgewalt wird schnell abflauen, sagt Medienforscher Vowe. Dennoch nutzt sie der CDU
taz: Herr Vowe, die CDU bestimmt mit ihrem Thema "gewalttätige Ausländer" die öffentliche Debatte. Was würden Sie der SPD raten?
Gerhard Vowe: Sie darf die Debatte über Jugendgewalt keinesfalls ignorieren - die SPD muss aber versuchen, ihr einen eigenen Rahmen zu geben. Deutsche sind Opfer, Ausländer aggressive Täter, diesen Fokus hat die Union gewählt. Die SPD macht nun eher auf soziale Ursachen aufmerksam.
Die Sozialdemokraten werfen Roland Koch Rechtspopulismus vor. Zu Recht?
Das ist zu einfach. Den Populismusvorwurf erhebt immer die Seite, die gerade nicht am Zug ist. Das Thema Jugendgewalt ist für viele Menschen virulent, das sitzt tief: Eltern machen sich Sorgen um ihre Kinder, Großeltern fühlen sich in der U-Bahn nicht mehr wohl. Insofern gibt es ein starkes Bedürfnis danach, dass etwas getan wird. Sonst könnten die Parteien ein Ereignis wie den Münchner Überfall nicht für sich nutzen.
Überfälle auf der Straße passieren häufig. Warum gewann die Debatte so an Fahrt?
Die brutalen Videobilder waren wichtig. Durch sie war das Thema fernsehtauglich und sofort bundesweit in der Diskussion. Roland Koch ist aufgesprungen, weil sein Wahlsieg in Hessen wackelt. Dabei hat er über das Leitmedium Bild gespielt - für beide Seiten eine Win-win-Situation. Und die CDU hat ihre organisatorische Leistungsfähigkeit demonstriert, indem sie schnell Maßnahmen vorlegte.
Viele Medien berichten kritisch. Schadet das der CDU?
Natürlich spielt die mediale Bewertung eine Rolle, aber die Menschen machen sich sowieso ihr eigenes Bild. Wichtig ist, dass überhaupt erst mal über etwas geredet wird. Die CDU hat ein Musterbeispiel des Agenda-Setting abgeliefert: Sie hat geschickt ein Law-and-order-Thema, in dem sie für kompetent gehalten wird, an die Spitze der Tagesordnung gedrückt.
Wie lange hält sich die Debatte noch in den Medien?
Themenkarrieren verlaufen wie eine etwas stärkere Erkältung: Eine Woche kommen sie, ein, zwei Wochen bleiben sie, eine Woche gehen sie. Bis zur Hessen-Wahl Ende Januar wird sich das Thema nicht ziehen lassen. Das kann der CDU aber egal sein, sie hat bei ihrer Klientel gepunktet.
INTERVIEW: ULRICH SCHULTE
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