piwik no script img

MedienWachhundmitMaulkorb

Sieben Jahre haben wir vor mehreren Gerichten mit einem Rechtsextremisten gestritten. Zwei Urteile gaben uns umfassend Recht, das Oberlandesgericht Frankfurt bewertet den Fall nun völlig anders. Es hat zudem den Streitwert des Verfahrens fast verdoppelt, was die Kosten für Kontext drastisch erhöht.

Karikatur: Oliver Stenzel

Von unserer Redaktion

Im Mai 2018 erschienen bei Kontext zwei Artikel, von denen wir damals nicht ahnten, dass sie uns sieben Jahre lang beschäftigen sollten. Unserer Redakteurin Anna Hunger wurden damals Chatprotokolle eines Mannes zugespielt, der für zwei AfD-Abgeordnete im baden-württembergischen Landtag arbeitete. Facebook-Chats, die sehr viele Scheußlichkeiten in Wort und Bild enthielten. Wir entschieden uns dazu, Teile daraus zu veröffentlichen, weil wir meinen, dass genau das der Job von Journalisten ist: aufdecken, was im Verborgenen bleiben soll. In diesem Falle: aufzeigen, wie Mitarbeitende von parlamentarischen Abgeordneten, Leute, die in der Herzkammer der Demokratie arbeiten, ticken, wenn keiner zuhört.

Wir entschieden uns auch, den vollen Namen des Mitarbeiters zu nennen. Um andere Mitarbeitende nicht zu diskreditieren und weil nur konkrete Benennung auch trifft. Immerhin handelt es sich bei Mitarbeitenden von Politiker:innen um diejenigen, die Reden schreiben, Anfragen vorbereiten, die Arbeit im Hintergrund machen und Zugang haben zu sensiblen Informationen. Wie ernst zu nehmen unsere Veröffentlichung damals war, zeigt sich auch daran, dass der Landtag von Baden-Württemberg die Hausordnung verschärfte und Mitarbeitende von seitdem eingehender überprüft.

Chats mit NPD, AfD und europäischen Rechtsradikalen

Damals, 2018, dachte man noch, Donald Trumps erste Amtszeit sei ein einzigartiges Versehen, Corona war noch ein Bier. Über die AfD wurde zu dieser Zeit diskutiert, ob sie nun rechtsextrem ist oder doch nicht. Im gleichen Jahr begannen die ersten Landesämter für Verfassungsschutz, AfD-Landesverbände zu beobachten. Mittlerweile sind mehrere davon als gesichert rechtsextrem eingestuft, die Partei als Ganzes wird als Verdachtsfall beobachtet.

Wie rechtsextrem zumindest das Umfeld der Partei war, zeigen die Facebook-Chats des Mitarbeiters. Chats mit mehr als 130 Chatpartner:innen, mit NPD-Funktionären, AfD-Funktionären, mit europäischen Rechtsradikalen, Burschenschaftlern, aber auch mit Familienmitgliedern, Freunden. Die zitierten Stellen offenbarten das Weltbild eines Neonazis. Doch der behauptete schon damals, die Chats seien an den zitierten Stellen manipuliert worden. Und er zerrte uns vor Gericht.

Unseren ersten Aufschlag gegen den Mann hatten wir im August 2018 in Mannheim, am Landgericht. Schon das konnten wir nur dank der großen Solidarität unserer Leser:innen stemmen, die uns das nötige Geld spendeten. Der Mann wurde und wird vertreten von Christian Conrad aus der Kanzlei Höcker, die damals bereits die AfD verteidigte. Kanzlei-Chef Ralf Höcker kokettierte mitunter damit, die Presse mit Freude unter Druck zu setzen („Journalisten-Bedrohung ist okay“).

Der dortige Richter, es war sein letzter Fall vor der Rente, befand, unser Fall sei eine „lahme Geschichte“. Wir unterlagen. Auch, weil sich das Gericht in einem Eilverfahren nicht mit unseren Beweisen auseinandersetzen wollte und forderte, die Quelle der Informationen offenzulegen.

Herta Däubler-Gmelin, ehemalige SPD-Justizministerin, war damals schon „befremdet“: „Das ist weder juristisch akzeptabel, noch in einer rechtsstaatlichen, auf friedliches Zusammenleben ausgerichteten Gesellschaft mit freier Presse hinnehmbar“, schrieb sie in Kontext.

Gegen das Mannheimer Urteil legten wir Einspruch ein. Und standen im Februar 2019 dann mit unserem Fall vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Karlsruhe. Dort wendete sich das Blatt. Die dortige Pressekammer befasste sich ausführlich mit unserem Beweismittel. Rund 17.000 Seiten Chats hatten wir zu Beginn des Verfahrens ausgedruckt und an das jeweilige Gericht geschickt. Das OLG Karlsruhe durchforstete den gesamten Umzugskarton mit zehn Leitzordnern, prüfte auf Plausibilität. Und kam zu dem Schluss: „Das Gericht sieht es als hinreichend glaubhaft gemacht an, dass die im Rechtsstreit vorgelegten Chatprotokolle authentisch sind.“ Und weiter: „Mit Rücksicht auf die Diskussion um rechtsextreme Bestrebungen im Umfeld der AfD leisten die beanstandeten Presseartikel einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage.“ Deshalb dürfe „in diesem Zusammenhang auch identifizierend über den Kläger berichtet werden“.

„Klassische Aufgabe“ der Presse wahrgenommen

Damit war das Eilverfahren beendet, und wir haben gehofft, die Gegenseite würde es damit bewenden lassen. Leider nicht. Es ging ins Hauptsacheverfahren, diesmal nach Frankfurt am Main. Nach rund drei Jahren – Corona hatte das Verfahren nicht beschleunigt – gab uns auch das Landgericht Frankfurt im Dezember 2022 nach Vernehmung von drei Zeugen und eines IT-Sachverständigen Recht. Es ging wie schon das OLG Karlsruhe „von der Authentizität der vorgelegten Facebook-Protokolle aus“, heißt es in der Urteilsschrift. Außerdem war die Kammer überzeugt, dass Anna Hunger „ihrer journalistischen“ Sorgfaltspflicht nachgekommen ist und die Authentizität der Chatprotokolle mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln überprüft hat. Die Beklagte zu 2. war nachvollziehbar in der Lage darzulegen, dass die so gewonnenen Informationen zuverlässig sind.“ Und weiter: „Mit ihrer Berichterstattung nehmen sie die klassische Aufgabe als Presseorgan im Sinne eines ‚Wachhunds der Öffentlichkeit‘ wahr.“

Auch dagegen legte die Gegenseite Einspruch ein. Nun ging es vor das OLG Frankfurt am Main. Und das sieht all das ganz anders. Es war schon in der mündlichen Verhandlung am 20. Februar 2025 irritierend, als die Pressekammer des OLG unsere Redakteurin fragte, ob sie nicht doch einfach sagen wolle, von wem sie die Informationen bekommen habe?

Das OLG hat sich nicht mit Inhalten befasst

Nein, selbstverständlich wollten wir nicht preisgeben, wer uns die Chats des Rechtsextremen zugespielt hat. Auch sonst haben wir so wenig wie möglich erzählt über die Quelle der Information. Denn Informantenschutz ist ein zentrales Prinzip im Journalismus und hat in Deutschland quasi Verfassungsrang.

Dem OLG Frankfurt waren unsere Angaben aber zu wenig. So heißt es nun in dem am 28. März 2025 verkündeten Urteil, das Gericht habe sich deshalb kein ausreichendes Bild über die Quelle machen können. „Auch bei ihrer nochmaligen Anhörung vor dem Senat hat die Beklagte zu 2. trotz intensiver Nachfragen keine Informationen mitgeteilt, die es dem Senat erlaubten, die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit“ der Quelle einzuschätzen, „was wiederum ein gewisses Indiz für die Zuverlässigkeit der Information, d.h. die Authentizität der ihr von diesen übergebenen Dateien dargestellt hätte. Insgesamt blieben ihre Antworten selbst auf konkrete Nachfragen unbestimmt und zurückhaltend, ohne dass sich dies mit einem besonderen Schutzbedürfnis der Informanten rechtfertigen ließe.“ Schon das sehen wir anders.

Weiter hieß es im Urteil, es gelten „erhöhte Anforderungen“ an die Überprüfung der Quelle, weil diese „die Informationen durch eine Straftat erlangt hatte, deren Begehung eine gewisse kriminelle Energie erfordert.“ Und damit gelten aus Sicht des Gerichts auch erhöhte Anforderungen an das, was über die Quelle der Information vor Gericht berichtet werden muss. Das ist eine Klatsche für den Informantenschutz. Wer eine Sauerei aufdecken will und Unterlagen weitergibt, verhält sich dabei selten im Einklang mit dem Gesetz. Informanten werden deshalb sogar explizit geschützt, beispielsweise durch das Hinweisgeberschutzgesetz. Es kann auch passieren, dass Informationen einer Redaktion anonym zugespielt werden, eine Überprüfung der Quelle ist dann eben ausgeschlossen. Die Veröffentlichung solcher Informationen muss trotzdem möglich sein. Für uns ist die Argumentation des OLG Frankfurt vor diesem Hintergrund haarsträubend.

Auch, dass sich ein Gericht beinahe ausschließlich auf den Überbringer einer Information bezieht und überhaupt nicht auf deren – in diesem Fall massenhaft vorhandenen – Inhalt. Sowohl das Oberlandesgericht Karlsruhe als auch das Landgericht Frankfurt hatten sich dagegen intensiv mit Inhalt und Charakter der Chats befasst. Ja, sie hatten Teile davon sogar ausführlich in ihre jeweilige Urteilsbegründung aufgenommen.

Drei Zeugen sind im Hauptsacheverfahren vor den beiden Gerichten in Frankfurt vernommen worden. Männer, die mit dem Rechtsextremisten gechattet hatten, in monatelanger, teils jahrelanger Kommunikation. Es waren nicht irgendwelche Zeugen, sondern solche aus dem Nukleus der neuen Rechten. Das Landgericht Frankfurt hatte 2022 beispielsweise Philip Stein, Freund des neurechten-Vordenkers Götz Kubitschek und Kopf der vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ angesehenen Kampagnenplattform „Ein Prozent“, als „unglaubhaft“ eingestuft. Weil der sich an nichts erinnerte. Nur daran, dass sein Kumpel sicherlich keine derart rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen getätigt habe, wie in Kontext beschrieben.

Kein Zeuge hat eigene Chats vorgelegt

Das Oberlandesgericht Frankfurt stufte die Aussage Steins dagegen als „plausibel“, als „schlüssig“ und „glaubhaft“ ein. Zudem habe er „nachvollziehbar dargelegt, wo seine eigene klare Grenze verlaufe“, was die Krassheit von Äußerungen betreffe. Immerhin hatte das Gericht „Restzweifel“ am Zeugen, „da es auch negativ auf ihn selbst abfärbte, wenn er eingeräumt hätte, dass der Kläger die Äußerungen gepostet habe, er selbst (der Zeuge) dann aber nicht hiergegen eingeschritten wäre.“ Eine aus unserer Sicht äußerst naive Auffassung. Tatsächlich ist er im Chatverlauf sogar eingeschritten, als es ihm „zu krass“ wurde, was aber für das OLG keine Bedeutung hatte. Das Landgericht Frankfurt dagegen hatte diesen Umstand sogar in seinem Urteil gewürdigt.

Keiner der drei Zeugen hatte über die Jahre die vermeintlich unmanipulierte Chatkommunikation parat. Dabei wäre das die einfachste Möglichkeit der Beweisführung gewesen. Der eine, Torben Braga, Parlamentarischer Geschäftsführer der Thüringer AfD-Fraktion, mittlerweile in den Bundestag gewählt und schon lange im allernächsten Dunstkreis von Björn Höcke unterwegs, hatte angegeben, Chats in Sozialen Netzwerken regelmäßig zu löschen, weil er immer „Datenhygiene“ betreibe. Auch Stein hatte keine Chats mehr, Facebook sei schon lange out. Ebenso Matthias Brauer, der in einschlägigen Kreisen bekannt wurde, als er im Garten einer Burschenschaft nach KKK-Manier ein Holzkreuz in Brand setzte. Keiner hatte brauchbare Erinnerungen an die Konversation mit dem ehemaligen Mitarbeiter. Gelöscht hatte auch der seine Chats nach eigenem Bekunden. Das Oberlandesgericht sah das, anders als das Landgericht zuvor, nicht als „Beweisvereitelung“ an.

In seinem Urteil hat uns das OLG Frankfurt nun untersagt, dass wir weiterhin identifizierend über den ehemaligen Mitarbeiter der früheren AfD-Abgeordneten berichten und so aus seinen Chats zitieren, dass Rückschlüsse auf ihn möglich sind. Wir haben daher die beiden Artikel vom Mai 2018 komplett aus dem Netz genommen und in vielen Artikeln, die sich auf den Fall beziehen, Teile gelöscht.

Riesige Welle an Solidarität

Das Gericht hat in seinem Urteil die Revision ausgeschlossen. Die „Rechtssache“ habe keine „grundsätzliche Bedeutung“. Was wir völlig anders sehen. Denn welcher Informant setzt sich der Gefahr aus, vor Gericht enttarnt zu werden. Als Sahnehäubchen hat das OLG in einem Nebensatz noch den Streitwert (das ist der theoretische Wert des Gesamtverfahrens, an dem sich auch die Anwaltshonorare bemessen) von für ein Presseverfahren bereits exorbitanten 260.000 Euro auf 480.000 Euro hochgesetzt. Und das ohne Not.

Um die Auseinandersetzung überhaupt bis hierher führen zu können, haben wir unsere Leser:innen um Unterstützung gebeten und eine riesige Welle an Solidarität erfahren. In erstaunlich kurzer Zeit konnten wir so für den jetzt eingetretenen Worst Case beinahe 100.000 Euro zurücklegen. Damit war nicht nur die Existenz von Kontext gesichert. Die Summe hätte bei einem Streitwert von 260.000 Euro auch für alle Instanzen, selbst eine dritte, gereicht. Beim vom OLG neu festgelegten Streitwert von 480.000 Euro und 25.000 Euro Schadenersatz sieht das anders aus. Nun erhöhen sich die Kosten für eine dritte Instanz auf insgesamt rund 140.000 Euro.

Wir haben uns nach intensiver Befassung mit dem OLG-Urteil dazu entschieden, gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde einzulegen. Wenn das klappt, werden wir vor den Bundesgerichtshof gehen.

Sicher ist: Wir lassen uns nicht einschüchtern. Vor allem nicht in einer Zeit, in der klare Kante gegen Rechtsextremismus gefordert ist, wie selten zuvor.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen