■ Medienschau: Medien und multikulturelle Gesellschaft
Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, äußerte sich in der liberalen Milliyet (Frankfurt) zu zwei Berichten, die in den renommierten deutschen Nachrichtenmagazinen Spiegel und Focus erschienen sind. Unter dem Titel „Es reicht“ faßt er den gemeinsamen Tenor beider Berichte folgendermaßen zusammen: „Es sei abgemacht, daß die Türken ob ihrer fehlenden Anpassungsbereitschaft nicht integriert seien. Zudem sei die Idee der multikulturellen Gesellschaft gescheitert, und der Islam würde eine sehr große Gefahr bedeuten, der die türkischen Jugendlichen zum Radikalismus treibe. Besonders der Spiegel hat durch seine scharf rassistische Berichterstattung zu einer Verschärfung des eh schon gestörten deutsch-türkischen Verhältnisses beigetragen. Das Magazin berichtet vom Scheitern der multikulturellen Gesellschaft. Hierbei sollte man aber fragen, was denn die Politiker und die Medien für ein Gelingen derselben getan haben. Die Politik konnte gar nicht scheitern, da es den Gegenstand einer multikulturellen Gesellschaft nie gegeben habe... Man muß der Frage nachgehen, welches Ziel der Spiegel mit seinen schweren Anschuldigungen verfolgt. Die Reportage läßt sich auf vier Hauptaussagen reduzieren. 1. Die Türken konnten sich nicht anpassen und sollten aus diesem Grunde schnellstens das Land verlassen. 2. Sollten sie trotzdem den Wunsch des Bleibens äußern, so müßten sie sich ernsthaft assimilieren. 3. Ihre Nichtanpassungsfähigkeit sowie ihr Glauben wie auch ihre nationalistische Gesinnung ist Anlaß für die rechte Szene, Übergriffe auf Türken als vorbehaltlos zu betrachten. 4. Die türkischen Jugendlichen sind äußerst radikal eingestellt, und es ist keine Anpassungsfähigkeit bei ihnen zu erkennen. Natürlich sind diese Approximationen falsch. Auf die Frage, warum über die Türkei nie positiv berichtet wird und welcher politischen Überzeugung die Berichterstattung unterliegt, antwortete mir vor zwei Jahren ein Chefredakteur des Spiegel folgendermaßen: Dies stimme nicht, da man zum Beispiel schon einmal über den sportlichen Erfolg der türkischen Fußballmannschaft Türkgücü München eine Reportage gemacht habe. Die einzig positive Berichterstattung hatte also mit Sport zu tun. So bleibt uns nichts anderes übrig, als auch in Zukunft durch sportliche Erfolge auf uns aufmerksam zu machen.“ 17. 4. 97
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