piwik no script img

Medien in der TürkeiWas ist schon Pegida?

Die Demonstrationen in Dresden sind in der Türkei kein Thema. Dass der Westen Muslime hasst, ist für Präsident Erdogan sowieso klar.

„Sie mögen es, wenn unsere Kinder sterben“: Recep Tayyip Erdogan Bild: ap

ISTANBUL taz | Es ist eine kurze Notiz in der englischen Ausgabe der Hürriyet, in der darüber berichtet wird, dass der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland einen Dialog mit Pegida für absurd hält. „Deutsche Türken gegen Gespräche mit Rechtsradikalen“, steht über der Meldung, die die wenigsten Leser in der Türkei zur Kenntnis genommen haben dürften.

„Pegida“, in der Adventszeit das Thema in Deutschland, findet in der Türkei kaum statt. Kein Kommentator hat sich in den letzten Wochen damit auseinandergesetzt, auf keiner Titelseite wurden die türkischen Leser mit der neuen antiislamischen Bewegung in Deutschland bekannt gemacht.

Das hat einen einfachen Grund: Was in Deutschland als neues, bedrohliches Phänomen angesehen wird, bestätigt in den Augen vieler Türken nur, was ihnen ihre Regierung seit Langem erzählt. Europa ist islamophob, der Westen mag uns nicht.

Ende November hat Präsident Recep Tayyip Erdogan vor dem Wirtschaftsausschuss der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (Comcec) eine Rede gehalten, die in ihrer Deutlichkeit keine Fragen offen ließ. Darin forderte Erdogan die islamische Welt auf, vom Westen keine Unterstützung zu erwarten, sondern die eigenen Probleme selbst in die Hand zu nehmen.

Vergesst Europa!

Die Welt spielt längst woanders, sagen die taz-AuslandskorrespondentInnen und übernehmen die taz in einer Sonderausgabe zum Jahreswechsel. Ihre Berichte, Reportagen und Analysen zeigen, was in Asien, Afrika und Lateinamerika wichtig ist. Am Kiosk oder gleich am eKiosk.

„Der Westen liebt Öl, Gold, Diamanten und billige Arbeitskräfte“, sagte er. „Aber glaubt mir, uns Muslime mag er ganz und gar nicht. Sie geben sich als Freunde, aber sie wollen uns tot sehen, sie mögen es, wenn unsere Kinder sterben.“

Erdogan gegen Kolumbus

Was ist angesichts einer solchen Analyse schon Pegida? Brennende Moscheen, wie zuletzt in Schweden, und Erfolge rechter bis rechtsradikaler Parteien in fast allen EU-Ländern haben Erdogan und seine Anhänger längst darin bestätigt, dass Muslime keine Freunde des Westens sein können. Deshalb lässt Erdogan keine Gelegenheit aus, westliche Institutionen zu kritisieren, und zu versuchen, die eigene, muslimische Rolle auf der Welt in ein besseres Licht zu stellen.

In kurzer Abfolge überraschte er das türkische Publikum zuerst mit der Feststellung, Muslime, nicht Kolumbus, hätten Amerika entdeckt, um dann festzustellen, dass das Nobelpreis-Komitee ausschließlich aus Christen besteht, weshalb Muslime auch niemals einen Preis bekommen, um schließlich die türkischen Schulen aufzufordern, den Kindern endlich auch die Erfolge muslimischer Wissenschaftler beizubringen.

Dabei wird Erdogan selbst von Intellektuellen unterstützt, die genau wissen, welchen Unsinn er erzählt. So schrieb Etyen Mahcupyan, einst unabhängiger, oppositioneller Denker: „Es ist nicht wirklich wichtig, ob tatsächlich Muslime vor Kolumbus in Amerika waren. Wichtig ist, dass Erdogan deutlich macht, dass die akzeptierte Version der Geschichte nichts anderes als eine eurozentristische Konstruktion ist.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Was ist schon Pegida

    Man muß und darf den Erdogan und seine Politik nun wahrlich nicht lieben und sein Gerede ist schon schlimm. Doch wo er Recht hat, hat er recht und das ist die Muslimfeindlichkeit oder besser noch allgemeine Fremdenfeindlichkeit in unserem Land. Ich bedaure es nicht, dass über die Pegida in den türk. Zeitungen sowenig berichtet wird. Es ist nunmal kein Aushängeschild. Und ich glaube, dass wir in Deutschland weit davon entfernt sind ein offenes, Fremde liebendes Land zu sein und schon garnicht diese Muslime haben wollen. das war im frühen Mittelalter schon so und daran hat sich nicht viel geändert. Also nicht nur auf den bösen Erdogan rumhauen, sondern vor allem vor der eigenen Haustüre kehren.

    Ein gutes Neues... Bernd Krömmelbein

  • „Aber glaubt mir, uns Muslime mag er ganz und gar nicht. Sie geben sich als Freunde, aber sie wollen uns tot sehen, sie mögen es, wenn unsere Kinder sterben.“

     

    Muss man so eine Aussage noch kommentieren, außer, dass man nun schwarz auf weiß lesen kann, dass der Mann komplett geistesgestört ist - an hand meiner Küchenpsychologie schließe ich auf Paranoia mit einem ordentlichen Schuß Größenwahn und religiösen Wahnvorstellungen.

  • "…Deshalb lässt Erdogan keine Gelegenheit aus, westliche Institutionen zu kritisieren, und zu versuchen, die eigene, muslimische Rolle auf der Welt in ein besseres Licht zu stellen.…"

     

    Was auch immer - auch als Text der taz -

    eine "muslimische Rolle" -

    egal wo - sein soll -

     

    Ein nicht von der Hand zu weisender Umstand sollte ergänzt sein;

    Türkische Gastarbeiter - häufig kurdisch/alevitischer Prägung -

    sind ja das eine -

    Der deulich konträr gestrickte

    DITIP-lastige Teil türkischer

    Einwanderer - das etwas andere!

     

    &eben die hat Erdogans Großmannssucht im Auge.;

    Sie "bei der Stange zu halten"!

     

    Letztere haben nämlich -

    verstärkt ab den 90ern vor allem auch aus religiösen Gründen der Türkei den Rücken gekehrt;

    Konkret: sah man in Türkisch Sektor rechts wie links denn Rhing -

    anders als heute -

    damals kaum 12/13 Mädchen mit Kopftuch!

     

    &Vorgänger Ingenieur

    Necmetin Erbakan vs

    Arzt Michael Sabri Erbakan

    (Milli Görüç) mach(t)en diesen innertürkischen Konflikt

    = religiös-traditionell vs euro-modern

    auch a persona in 'schland deutlich.

     

    Erdogans Auftritte in 'schland und der gefundene Zuspruch seiner nunja Landsleute dürften ihn in seiner Haltung nur bestärkt haben;

    Seine entsprechende religiöse Umkrempelung a Türkei -

    &die Antwort Tahir-Platz wird nicht der letzte Stein im Weg sein!

     

    Deswegen haben Erdogans kraftmeierische Fensterreden

    auch etwas von -

    mit der Wurst nach der Speckseite

    Werfen -

    aber auch was vom

    Pfeifen im Wald.

  • Es wäre interessant, den Kontext des zitierten Satzes von Mahcupyan, Nachfolger des 2007 ermordeten Hrant Dink als Chefredakteur der armenisch-türkischen Zeitung Agos, zu erfahren. Denn dass Mahcupyan, der in der Türkei den Begriff des Ethnozentrismus geprägt hat, durch diese Äußerung als "Unterstützer" von Erdoğan gelten solle, halte ich für überzogen. Mit anderen Worten: muss man, wenn man die akzeptierte Version der Geschichtsschreibung als "eurozentristisch" kritisiert, automatisch ein Anhänger dieses, anders ethnozentristischen, autoritären und größenwahnsinnigen Recep Tayyip E. sein?