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Medialer Amoklauf

 ■ S T A N D B I L D

(Live-Zeit, ZDF/ORF, Samstag, 20.15 Uhr) Das amerikanische Fernsehen, meint der Publizist Klaus Harpprecht, orientiere sich am intellektuellen Auffassungsvermögen eines 9jährigen. Wo ist die Grenze des medialen Infantilismus, fragt Harpprecht? Beim Siebenjährigen, Fünf- oder Dreijährigen? Das ZDF hat die Antwort gefunden. Der Samstag abend gehört den verlorenen Wählerschichten von CDU/CSU. Bei den REPs spiele das Alter keine Rolle, meint ja auch Schönhuber. Wie verbindet man aber die „vaterländischen Interessen“ dieser Konsumeten mit ihrer arttypischen Motorik, etwa alle 3 Minuten auf den Telecommander zu drücken, um sich nicht länger auf ein Thema konzentrieren zu müssen. Kein Problem für die Macher des ZDF. Mit deutscher Gründlichkeit, das ORF schloß sich bereitwillig an, streifte man im Drei -Minutentakt durch Großdeutschland.

„Verstehst Du mich, liebes deutsches Mädchen“, fragt Peter Rapp von der Donauinsel in Wien seine Co-Moderatorin Christine Mederer, die uns in der Bundesgartenschau in Frankfurt begrüßt. Sie lacht und übergibt das Wort an einen Flughafenkontrolleur des Wiener Flughafens. Der sagt nur, daß er gleich noch mal wieder kommt. Heinz Schenk schwengt schon den Ebbel-Woi und verkündet, daß es hier in Sachsenhausen gleich sehr lustig wird. Als sich Rudolf Buchbinder von den Salzburger Festspielen trotz mehrmaliger Ankündigung Heinz Schenks nicht meldet, bricht den ZDF -Verantwortlichen der Schweiß aus. Der Zeigefinder der Deutschtümler rückt wieder gefährlich nah an den Knopf eines Privatsenders.

Statt Salzburg meldet sich jetzt Christine von der Buga und erklärt, daß die Panne „extra gemacht“ worden sei, „das ist jetzt die moderne Art der Unterhaltung“. Jetzt befragt sie den Organisator der Bundesgartenschau nach dem Sinn und Zweck der teuren Blumenpracht. Bevor dieser eine Antwort geben kann, verschwindet die Moderatorin von der Bildfläche. „Wo ist die Kamera“, schreit die „ZDF-Neuentdeckung“. Der Buga-Chef grinst hilflos und stammelt etwas von schönem Wetter. Die drei Minuten sind abgelaufen. Höchste Zeit für die Oldtimer-Rallye auf dem Nürburg-Ring.

Nach den lebenden Helden kommen die toten: Brahms und Mozart. Die kulturelle Nachhilfe in Sachen deutschem Kulturgut besorgt, wer wäre dazu besser geeignet, Justus Frantz aus Schleswig-Holstein mit einer „Weltpremiere“: Distanz-Klavierspiel mit Buchbinde, der in Salzburg in die Tasten haut. Gegen Ende suchte Peter Rapp in einem Wiener Mietshaus verzweifelt nach Publikum. Da ihm außer dem Ehepaar Blach niemand öffnte, gab er das Motto der Sendung dann doch noch preis. „Abtreten“, fordert der Fußabstreifer der Blachs. Das sei eine Fußmatte für Politiker. „Für linke Politiker“, unterbricht ihn Christine aus Frankfurt. Wohl eher für unerträgliche ModeratorInnen.

Bettina Bausmann

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