Maurice Höfgen Was kostet die Welt?: Wie rund 20 Millionen Arbeitnehmer von der Last einer Steuererklärungbefreit werden könnten
Achtung, schockierende Zahl: Schon 2030 rechnet die Steuerverwaltung mit rund einem Drittel weniger Personal. Weil Deutschland altert und Babyboomer in den verdienten Ruhestand gehen. Die Deutsche Steuergewerkschaft benennt diesen Fakt, wann immer sie kann, um auf Investitionen in die Digitalisierung der Verwaltung und arbeitssparende Reformen zu drängen. Kein Wunder, sind die Finanzämter doch heute schon vielfach überlastet.
Dabei ist die Lösung eigentlich ganz einfach, man müsste nur den sogenannten Arbeitnehmerpauschbetrag vervielfachen. Derzeit liegt die Pauschale bei 1.230 Euro. Würde man sie auf 5.000 Euro anheben, müssten die allermeisten Arbeitnehmer, die jedes Jahr gewissenhaft ihre Steuererklärung machen, in Zukunft keine mehr abgeben.
Der Arbeitnehmerpauschbetrag ist Teil der Werbungskosten und wird bei der Steuererklärung vom Bruttolohn abgezogen. Das reduziert die Steuerlast. Der Pauschbetrag von 1.230 Euro pro Jahr wird – wie der Name sagt – pauschal abgezogen, ohne Nachweise. Nur wem höhere Kosten entstehen, kann diese bei der Steuererklärung geltend machen. Etwa durch angeschaffte Arbeitsmaterialien, lange Pendelstrecken zum Arbeitsplatz, selbst bezahlte Fortbildungen oder Bewerbungskosten. Dafür muss man allerdings Belege sammeln und die Kosten im Einzelfall nachweisen.
Für die meisten Menschen ist das viel Aufwand mit wenig Ertrag, zeigen Daten des Statistischen Bundesamts. Nicht einmal jeder Zweite erhält überhaupt eine Erstattung durch die Steuererklärung. Bei 65 Prozent der Betroffenen fiel die Erstattung kleiner als 1.000 Euro aus. Nur in 2 Prozent aller Fälle erstattete das Finanzamt mehr als 5.000 Euro. Daraus ergibt sich am Ende eine durchschnittliche Erstattung von 1.095 Euro. Klar, man freut sich über jeden Euro, der vom Finanzamt zurückkommt. Aber ab wann lohnt sich der ganze Aufwand?
Würde der Arbeitnehmerpauschbetrag zum Jahreswechsel angehoben, käme die Entlastung schon mit dem ersten Lohnbescheid an, wo dann weniger abgezogen würde. Der Nebeneffekt für die lahmende Konjunktur: mehr Netto vom Brutto, mehr Kaufkraft, die in die Geschäfte getragen werden kann!
Außerdem wären Millionen Menschen von der lästigen Pflicht befreit, Belege für die Steuererklärung zu sammeln. Darüber wären nicht mal die Steuerberater traurig, denn die verdienen das meiste Geld ohnehin nicht mit Ottonormalo-Arbeitnehmern, sondern mit Firmenkunden. Je weniger Massengeschäft mit einfachen Steuererklärungen bei Steuerberatern und Finanzbeamten, desto mehr Kapazität gibt es für die komplexeren Steuerfälle.
Gesamtwirtschaftlich ist es zudem bedeutungslos, ob Ottonormalo bei der Steuererklärung 28 Euro zu viel für die Arbeitskleidung veranschlagt oder beim Arbeitsweg ein paar Kilometer dazu erfunden hat. Darum sollte sich in einer alternden Gesellschaft kein Finanzbeamter mehr scheren müssen. Wir haben schließlich keine Arbeitskraft mehr zu verschenken. Stattdessen sollten sich die Beamten um wichtigere Dinge kümmern, Betriebsprüfungen zum Beispiel. Weil es zu wenig Prüfer gibt, werden Betriebe im Schnitt nur alle 55 Jahre geprüft. Dabei bringen die rund 13.000 Betriebsprüfer jedes Jahr ein Steuerplus von rund 10 Milliarden Euro. Also fast eine Million pro Prüfer. Je weniger Finanzbeamte mit Ottonormalo-Steuererklärungen beschäftigt sind, desto mehr können Betriebe prüfen – und mehr Steuern einnehmen.
Maurice Höfgen, 28, ist Autor und Ökonom. Hier überlegt er einmal monatlich, wie sich wirtschaftliche Utopien umsetzen ließen.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen