: Mauerschützenprozeß: Stasi-Offizier sagt aus
Berlin (dpa) — Im Mauerschützenprozeß hat die Verteidigung dem Gericht indirekt eine Verschleppung des Verfahrens vorgeworfen. Rechtsanwalt Johannes Eisenberg deutete am Montag vor dem Berliner Landgericht an, daß die Strafkammer trotz des Drängens der Verteidigung der vier angeklagten Grenzsoldaten keine Hinweise auf ein mögliches Urteil gegeben habe, obwohl dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig sei. Es könne daher auf Zeugen nicht verzichtet werden. Damit reagierte Eisenberg auf den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, die Verteidigung verschleppe den Prozeß, indem sie auf der Anhörung weiterer Zeugen bestehe. Der Vorsitzende Richter, Theodor Seidel, sagte am Ende des Verhandlungstages, daß gegenwärtig aus seiner Sicht kein Ende des Prozesses in Sicht sei.
Eisenberg stellte erneut einen Beweisantrag mit dem Ziel, die Glaubwürdigkeit des bisherigen Hauptbelastungszeugen Christian Gaudian zu erschüttern. Gaudian hatte die Angeklagten unter anderem beschuldigt, auf ihn und seinen Freund geschossen zu haben, als sie ihre Flucht schon abgebrochen hatten. Der Antrag Eisenbergs bezog sich auf die Aussage Gaudians, wonach der ehemalige Grenztruppenmajor Uwe Romanowski den schwer verletzten Chris Gueffroy noch mißhandelt habe, als dieser schon am Boden lag.
Romanowski hatte dies am vergangenen Verhandlungstag bestritten. Nach Aussage eines hohen Offiziers der Militärabwehr der Grenztruppen, Siegfried Leonhard, hatte seine Behörde unmittelbar nach den Schüssen in der Nacht zum 6. Februar 1989 keine Erkenntnisse über den Todesschützen. Bei derartig schweren Fällen von Fluchtversuchen seien die Untersuchungen regelmäßig von der Staatssicherheit durchgeführt worden. Die Militärabwehr sei dann nur in zweiter Linie tätig geworden.
Die Verhandlung wurde am Montag schon nach eineinhalb Stunden auf Freitag vertagt. Dann soll unter anderem der ehemalige Stasi-Vizechef Gerhard Neiber gehört werden. Neiber hatte sich zweimal vor dem Gericht geweigert auszusagen, und war deshalb mit einem Ordnungsgeld von 500 Mark belegt worden. Das Kammergericht hatte die Rechtmäßigkeit des Ordnungsgeldes in der vergangenen Woche bestätigt.
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