Matthias Matussek: Rock n Roll im Laden
"Spiegel"-Kulturchef Matthias Matussek ist nicht nur an sich selbst gescheitert - sondern auch an seiner Redaktion.
N achdem die Kündigung von Spiegel-Chef Stefan Aust bekannt geworden war, wurde Matthias Matussek im Deutschlandradio interviewt und sagte dort sinngemäß, dass Aust ein Genie gewesen sei und niemand in der Redaktion verstehe, wie man diesen Mann wegschicken könne. Schon da wurde deutlich, dass es Matussek aus seinem sorgsam errichteten Paralleluniversum nicht mehr rausschaffen würde.
Als Reporter begnadet, versuchte sich Matussek selbst zu verjüngen, indem er mit dem Kulturteil des Spiegels noch einmal die neobürgerliche Uneigentlichkeit der Berliner Seiten der FAZ nachahmte. Doch damit kam er um Jahre zu spät. Ein selbsternannter Großvater der Generation Golf, die - als Matussek zu ihr stieß - schon längst weiter war. Wie die gesamte Gesellschaft.
Es war ja schon damals verwunderlich, dass der in Rio und London gediente Auslandskorrespondent des Spiegels plötzlich Kulturchef wurde, und erklärbar war das eigentlich nur damit, dass sich Aust nie so recht für die Kultur interessiert, weil es da verhältnismäßig wenig Akten gibt. Einzig, wie es die Rolling Stones schafften, mit über 60 noch auf die Bühne zu klettern, habe Aust interessiert, heißt es in der Redaktion. Mit Matussek, so muss Aust wohl gedacht haben, hole er sich wenigstens ein bisschen Rock n Roll in den Laden.
Aber Matussek war eben nur Trash-Rock, eine Spielart, die letztlich keinen nachhaltigen Wert besitzt: Unter ihm wetterte der Kulturteil des Spiegels gegen das Regietheater, feierte den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses als visionäre Tat und jauchzte den Stauffenberg-Film mit Tom Cruise zum Erweckungserlebnis hoch.
Seiner seltsam zusammengecasteten Redaktion stand Matussek als Lordsiegelbewahrer des Pop-Journalismus vor: Die Schauspielerin Verena Araghi hatte zuvor die Erotiksendung "Peep!" moderiert, was ja nichts heißen muss, dann aber eben doch etwas hieß. Moritz von Uslar ist ein kreativer Autor, aber im Spiegel-Kulturteil eine Fehlbesetzung, und bei Rebecca Casati fragt man sich bei jeder Zeile, ob sie nicht nur im Kulturteil gelandet war, weil sie die Freundin von Frank Schirrmacher ist, mit dem Matussek ja auch sehr gut können soll. Zuletzt ging der Nepotismus so weit, dass im Spiegel eine lobhudelnde Rezension eines Buches des SZ-Redakteurs Alexander Gorkow abgedruckt wurde, geschrieben vom Dramatiker Albert Ostermaier, der ebendieses Buch gemeinsam mit ebendiesem Gorkow in München auf Lesungen promotete.
Dass nun Ex-Kulturchef Mathias Schreiber für ein paar Monate Interimsleiter wird, ist natürlich ein Witz. Denn den hatte man ja damals als Kulturchef loswerden wollen. Es zeigt aber, dass man nun in Ruhe nach einem Nachfolger suchen will. Dafür braucht man Zeit, denn beim Spiegel selbst wird man ihn nicht finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind