Matthias Güldner (Grüne) im taz-Interview: „Mir fehlt das Entsetzen“
Innensenator Mäurer (SPD) verteidigt den Polizei-Einsatz im „Gleis 9“. Der Grüne Fraktionschef Matthias Güldner kann das nicht nachvollziehen
taz: Herr Güldner, der SPD-Innensenator Mäurer äußerte sich in einem Interview zum Gewalteinsatz von Polizisten in der Disko „Gleis 9“. Den Einsatz nannte er „völlig korrekt“. Teilen Sie diese Einschätzung?
Matthias Güldner: Das ist eine Schlussfolgerung, die sich nur schwer nachvollziehen lässt.
Mäurer argumentiert, es werde nur gegen einen Polizisten ermittelt.
Das ist ein merkwürdiges Argument, weil auch ein einzelner Beamter durchaus erheblich ist in so einem Einsatz. Zumal das Verhalten der übrigen Beamten zumindest in der Hinsicht hinterfragt werden muss, inwieweit sie dem Kollegen hätten Einhalt gebieten müssen.
Auf dem Video ist zu sehen, dass sie stattdessen den 28-jährigen Diskobesucher festhalten, während ihr Kollege schlägt und tritt. Muss man für eine Bewertung das ungeschnittene Material kennen, wie Mäurer betont?
Selbstverständlich ist der Kontext wichtig. Wenn das längere Video entlastende Momente enthält, wäre es ja naheliegend, es ebenfalls zu veröffentlichen. Aber, die Prügelszene bleibt die Prügelszene. Und niemand behauptet, dass sie im Video manipuliert oder gefälscht wäre.
Auch Polizeipräsident Lutz Müller weist zurück, dass es Fehlverhalten gegeben habe.
Es fällt auf, dass der Polizeipräsident, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei und der Innensenator sehr stark die entlastenden Momente betonen. Das ist so auch erst mal in Ordnung. Mir fehlt aber bei allen dreien das Entsetzen darüber, dass, zumindestens allem Anschein nach, ein unbewaffneter, am Boden liegender Mensch mit Stiefeln getreten und mit dem Schlagstock geschlagen wird.
Formal ist es eine Festnahme …
… die sehr stark an Szene aus U-Bahnhöfen erinnert, wo Schläger zutreten und schlagen. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass die Verantwortlichen diesen Aspekt völlig unkommentiert lassen. Es ist auch ihre Verantwortung, dass in Ausbildung und täglicher Führung der Polizei solche Dinge angesprochen und abgestellt werden.
Ist es nicht auch die Aufgabe des Dienstherren, sich vor seine Polizei zu stellen?
Dass Herr Mäurer sich vor Beamte stellt, kann die Polizei zu recht erwarten. Umgekehrt muss er auch klare Worte finden, bei Situationen, die mit einer demokratischen Polizeikultur nichts zu tun haben. Die Aufarbeitung des Einsatzes aus dem Video ist dabei bei Weitem zu kurz gekommen.
Woher kommt das?
In Situationen wie diesen stehen Reflexe im Vordergrund, die sich anscheinend nur durch die große Nähe der Akteure in diesem Bereich erklären zu lassen. An der grundsätzliche Einstellung der jetzigen Ressort- und Polizeiführung zu einer modernen demokratischen Polizei habe ich jedoch keinen Zweifel.
Führt die Überlastung der Beamten nicht auch dazu, dass überreagiert wird?
Das ist vollkommen an den Haaren herbeigezogen. Die Personalstärke, die zur Zeit über der langjährigen Zielzahl liegt, kann niemals eine Rechtfertigung für Gewalt gegen Menschen sein.
Das Opfer war anscheinend ja auch kein Unschuldslamm.
Ob es nun ein Familienvater ist oder die Person Vorstrafen hat, darf bei der Frage, ob es unnötige Gewalt durch einen Polizeibeamten gab, keine Rolle spielen.
Sowohl Horst Goebel von der Gewerkschaft der Polizei als auch Innensenator Mäurer erklären, dass Gewaltanwendung zum Alltag der Polizei gehört.
Das ist in der Tat Polizeialltag und hat mit dem Gewaltmonopol des Staates zu tun. Aber, selbstverständlich ist das kein Freibrief, willkürlich Gewalt auszuüben. Diese Fälle kann Herr Goebel nicht meinen.
Er weist auch darauf hin, dass die Gewalt gegen Polizisten zunimmt.
Das muss absolut Thema sein und ist inakzeptabel. Gleichwohl heißt die Existenz von Gewalt gegen Polizisten nur, dass die angemessene professionelle Reaktion umso mehr integraler Bestandteil der Ausbildung, Fortbildung und Führung sein muss.
Wäre alles besser mit einem grünen Innensenator?
Es ist ein sehr harter Job, man ist permanent mit Fragen um Gewalt und Verbrechen konfrontiert. Ulrich Mäurer gehört zu den besten und fortschrittlichsten Innenministern Deutschlands.
Die Grünen machen es ihm mit der Sparpolitik nicht einfach …
Die Besoldung ist ja kein grünes Thema.
Ist Finanzsenatorin Linnert nicht bei den Grünen?
Die Besoldung wurde von fünf sozialdemokratischen Senatoren und 35 Abgeordneten der SPD mehrfach beschlossen. Es ist nicht gelungen, dass man versucht, die unangenehmen Dinge bei den Grünen abzuladen. Wenn einer käme und behauptet, dass man, wenn man zehn oder 20 Euro Gehaltserhöhung im Monat nicht bekommt, jemanden zusammenschlägt, dann würde ich wirklich an der demokratischen Kultur zweifeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett