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Massenvergewaltigungen „auf Befehl von oben“

■ UN-Kriegsverbrechertribunal erhebt schwere Beschuldigungen gegen Karadžić. Doch nach Ansicht des UN-Beauftragten kann der Serbenführer Parteichef bleiben

Den Haag (dpa/taz) – Die Massenvergewaltigungen von muslimischen Frauen in Bosnien geschahen nach den Erkenntnissen eines Ermittlungsteams des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag „auf Befehl von oben“. Die serbischen Soldaten, Polizisten und Angehörigen paramilitärischer Truppen, die Frauen und Mädchen sexuell mißbrauchten, rechtfertigten sich den Angaben zufolge damit, daß sie von ihren Vorgesetzten dazu gezwungen worden seien. Sie seien angewiesen worden, „Tschetnikbabys“ zu machen. Das erklärte Irma Oosterman, ein Mitglied des Ermittlungsteams, gestern als Zeugin bei der Beweisaufnahme gegen den bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić.

„Überall war das System das gleiche“, sagte sie. „Frauen und Mädchen wurden von den Männern getrennt und vergewaltigt.“ Offiziere und Polizeichefs hätten nichts dagegen unternommen, sondern sich oft selbst beteiligt. „Es gab einen Befehl zu vergewaltigen“, sagte Oosterman, die selbst mit rund 50 Opfern gesprochen hat. Das gesamte Team habe Hunderte vergewaltigte Frauen interviewt. Doch nur jedes zweite Opfer sei bereit, auszusagen.

Auch viele Männer seien sexuell mißbraucht worden. „Sogar Söhne und Väter wurden dazu gezwungen“, berichtete sie. In den Gefangenenlagern sei es zu furchtbaren Szenen gekommen: „Einer mußte den Penis eines anderen abbeißen.“ Ein anderer habe den Penis essen müssen.

Das Kriegsverbrechertribunal wird nach Abschluß seiner Zeugenvernehmungen internationale Haftbefehle gegen Karadžić und Mladić erlassen. Noch vor Beginn der Beweisaufnahme hatte Gerichtspräsident Antonio Cassese in einem Gespräch mit Außenminister Klaus Kinkel in Bonn angekündigt, ein solcher Haftbefehl werde voraussichtlich bis zum 15. Juli ausgestellt.

Die Beweislage ist nach den Maßstäben des Tribunals mehr als ausreichend, zumal die Alternative die Einstellung des Verfahrens wäre. Die am Donnerstag begonnenen Zeugenanhörungen haben die beiden Serbenführer stark belastet. Durch ihre Worte und Taten vor laufenden Kameras haben Karadžić und Mladić einige der Hauptanklagepunkte gegen sich selbst bestätigt.

Nach Ansicht des Sonderbeauftragten für den zivilen Wiederaufbau in Bosnien, Carl Bildt, kann Karadžić weiterhin Vorsitzender der Serbischen Demokratischen Partei bleiben. Dieses Amt sei keine öffentliche Funktion nach dem Daytoner Friedensabkommen, sagte Bildt nach seinem Treffen mit der „amtierenden Präsidentin“ des selbsternannten Serbenstaates, Biljana Plavsić, in Pale.

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