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„Massenhaft Bankrotte“

Professor Heinz Gralka, Jena, über den DM-Schock in der DDR, Heldentum und marktwirtschaftliches Gebaren  ■ W I R T S C H A F T S V E R H Ö R

Professor Gralka ist Wirtschaftswissenschaftler an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena

taz: Zur Zeit fordern immer mehr West-Politiker die sofortige Einführung der DM in die DDR. Halten Sie dies für richtig?

Gralka: Daß die DDR-Wirtschaft einen solchen Schock aushält, kann ich mir schwer vorstellen. Da ein großer Teil der DDR -Wirtschaft nicht gemäß Weltmarkt-Standard produziert, käme es zu massenhaften Bankrotten und Entlassungen. Das würde auch bei einem deutlich niedrigeren Lohnniveau eintreffen.

Könnte ein Kreditprogramm der Bundesrepublik den Schock nicht abdämpfen?

Das kommt auf deren Zahlungsfreude an. Das kann sehr werden.

Welche Alternativen sind denn denkbar?

Nun, der Übergang zur Marktwirtschaft muß schrittweise erfolgen: 1.Neuordnung von Industrie, Handel und Banken; 2.Förderung einer industriellen Infrastruktur von Klein- und Mittelbetrieben; 3.Einführung des Kostenkriteriums bei Produkten und Leistungen; 4.Abbau zentraler Planvorgaben; 5.Schaffung rechtlicher Regelungen, damit sich, wie Edzard Reuter es so schön sagte, das ausländische Kapital wohl fühlt.

Auch dieses Programm wird zu größeren Bankrotten führen.

Selbstverständlich. Stillegungen sind unvermeidbar.

Sie haben jahrzehntelang sozialistische Wirtschaftsführung in Jena gelehrt. Wie haben Sie den Konflikt zwischen Ihrer offenkundlichen marktwirtschaftlichen Überzeugung und der sozialistischen Lehre all die Jahre ausgehalten?

Es ist für keinen Wissenschaftler angenehm, gegen seine Überzeugung zu lehren. In internen Gutachten habe ich immer wieder auf die Schwächen der Planwirtschaft hingewiesen, die aber nicht beachtet wurden. Hätte mich jemand aufgefordert, für meine Überzeugung auf die Straße zu gehen, dann hätte ich gesagt: „Geh‘ Du voran, mein Freund!“ Zum Helden bin ich nicht geboren.

Jetzt sind Sie doch sicherlich als Betriebsberater gefragt. Treffen Sie auf eine Bereitschaft, echte Selbständigkeit, auch gegenüber BRD-Konzernen, anzustreben?

Bei den kleineren und mittleren Betrieben trifft das zu. In den Großbetrieben herrscht noch das Beamtentum vor; die warten auf Befehle von oben.

Würden sich diese Betriebsleiter nicht lieber einem bundesdeutschen Konzern unterstellen als das Risiko einzugehen, einen maroden Betrieb in die Selbständigkeit zu führen?

Bei den großen Betrieben scheiterte eine Reihe von Kooperationsgesprächen, weil die bisherige Leitung den Westdeutschen keine Majorität zubilligen wollten. Die sind selbstbewußt und meinen, ganz gute Marktchancen zu haben, wenn sie nur modernisieren können. Sie verfügen ja schon über Markterfahrung im RGW.

Können denn diese bisherigen Betriebsbürokraten marktwirtschaftliches Gebaren überhaupt schnell genug lernen? Werden sie nicht sofort von ihren wendigen Westkollegen ausgetrickst?

Wir sind schon dabei, ein Schulungssystem für die mittlere und obere Leitung zu entwickeln. Es kommen schon viele westliche Berater, und außerdem wird der Markt sie schon zwingen, ihr Denken rasch umzustellen. Aber natürlich brauchen wir noch etwas Zeit. Zuerst müssen die Strukturreformen vollzogen sein, bevor sich die DDR -Wirtschaft dem vollen Ansturm der ausländischen Konkurrenz stellen kann.

Interview: Christoph Scherrer

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