Massaker in Sudan: Hunderte Leichen in Weiß

In einem Dorf in Sudans Kornkammer Gezira soll die RSF-Miliz über 200 Menschen getötet haben. Hilfswerke warnen derweil vor einer schweren Hungersnot.

Aufgebahrte Verstorbene inmitten eines Dorfes

Das Dorf Wad al-Noura trauert um seine Toten Foto: anonym

BERLIN taz | Sudans Krieg hat schon viel Horror produziert, aber die Bilder aus dem Dorf Wad al-Noura, die seit einigen Tagen um die Welt gehen, machen ihn in besonderer Weise sichtbar. Eine ganze Dorfgemeinschaft ist auf einem großen sandigen Platz versammelt. Viele der Menschen sind in Weiß gekleidet, vor ihnen liegen Dutzende in weißes Tuch gehüllte Körper auf Metallgestellen aufgebahrt.

In anderen Videos drängen sich die Menschen um die sorgfältig aufgereihten verhüllten Toten am Boden bei der Trauerfeier, in wieder anderen Aufnahmen sieht man die Bergung von blutüberströmten Verletzten oder von Kugeln durchsiebten Menschen in den Trümmern ihrer Häuser.

Das Massaker in Wad al-Noura, rund 110 Kilometer südlich von Sudans Hauptstadt Khartum in der Provinz Gezira, ereignete sich den Berichten zufolge am 5. Juni. Die paramilitärische staatlich aufgestellte Miliz RSF (Rapid Support Forces), die im April 2023 mit Sudans Militärregierung brach und seitdem gegen diese kämpft, griff das Dorf zweimal hintereinander mit schwerer Artillerie an, berichteten die „Widerstandskomitees“ der sudanesischen Demokratiebewegung in Geziras Provinzhauptstadt Wad Madani.

Die RSF habe das Dorf besetzen wollen, nachdem ein Armeeangriff sie aus der Region verjagt hatte. Als die lokalen Autoritäten das verweigerten, habe sie Wad al-Noura abgeriegelt und dann massiv beschossen und überfallen. Milizionäre hätten sich auf Dächern postiert und von dort geschossen. Die Armee habe nicht gegen den RSF-Angriff eingegriffen.

RSF spricht von Angriff auf andere Milizen

Die RSF hat den Angriff auf Wad al-Noura bestätigt, aber behauptet, sie habe regierungstreue „Islamisten“ und „Mustanfareen“ (Mobilisierte) angegriffen – so heißen die von Sudans Armee aufgestellten „freiwilligen“ Milizen aus rudimentär ausgebildeten und ausgerüsteten Zivilisten, die neuerdings in den Kampf gegen die RSF geschickt werden. Beobachtern zufolge stehen sie in ihrer Willkür gegenüber der Bevölkerung der RSF in nichts nach.

Wad al-Noura habe drei Basen von Milizen beherbergt, von denen aus ein Großangriff in Richtung der RSF-Gebiete um die Hauptstadt Khartum geplant gewesen sei, so die RSF in einer Erklärung.

Die Zahl der Toten in Wad al-Noura, zunächst anhand der ersten Videoaufnahmen mit mehreren Dutzend angegeben, kletterte schnell auf 107, dann auf 150 und bis Sonntag auf 227, dazu kommen mehrere hundert Verwundete. Mindestens 35 Kinder sollen unter den Toten sein.

Sudans regierender Militärrat nannte das Massaker „eines von vielen der RSF“ und verurteilte es scharf, ebenso Sudans politische Parteien in Khartum und die Demokratiebewegung. In mehreren Erklärungen wurde darauf hingewiesen, dass die RSF militärische Unterstützung durch die Vereinigten Arabischen Emirate genieße und dass die Miliz international isoliert werden müsse.

Massaker wie dieses gehören in Sudans Westregion Darfur zum Alltag, nicht aber in dieser Provinz direkt südlich von Khartum. Gezira ist die wichtigste Agrarregion Sudans und blieb nach Kriegsbeginn zunächst friedlich. Seine Hauptstadt Wad Madani nahm nach Beginn der Kämpfe in Khartum im April 2023 Hunderttausende Flüchtlinge aus der Hauptstadt auf und wurde auch zum logistischen Zentrum für humanitäre Hilfe.

Im Dezember 2023, mitten in der Aussaat, eroberte die RSF Wad Madani. Sie stahl große Lebensmittelvorräte, Hilfswerke mussten abziehen. Die Kämpfe zwischen RSF und Armee trieben zahlreiche Menschen in die Flucht und brachten die Landwirtschaft zum Erliegen.

Hungersnot könnte Millionen Tote fordern

Die dadurch erwarteten Ernteausfälle und Lebensmittelknappheiten landesweit sind ein Hauptgrund für die von Hilfswerken seit Monaten geäußerten Befürchtungen, Sudan werde dieses Jahr eine weltweit beispiellose Hungersnot erleiden, mit 2,5 bis vier Millionen Toten bis September, wie das niederländische Clingendael Institute Ende Mai warnte.

Am vergangenen Donnerstag kündigte das UN-Welternährungsprogramm WFP eine Ausweitung seiner Sudan-Hilfen an, vor allem durch Direkthilfen an Bedürftige, um auf den Märkten einkaufen zu können. Dies setze aber voraus, dass Lebensmittel auch auf die Märkte gelangten und dass auch etwas gegen den Mangel an sauberem Wasser und Medikamenten getan werde. „Menschen in Sudan essen Gras und Blätter, um zu überleben; Unterernährung bei Kindern hat schockierende Ausmaße erreicht und bedroht eine ganze Generation“, so WFP.

Zuvor hatte die gemeinsame Arbeitsgruppe der in Sudan tätigen Hilfswerke „systematische Obstruktion“ humanitärer Hilfe durch alle Kriegsparteien moniert, unter anderem in Gezira. „Fürchterliche Angriffe auf Zivilisten nehmen zu“, hieß es weiter in der Erklärung.

Die IOM (Internationale Organisation für Migration) teilte derweil mit, die Zahl der Vertriebenen in Sudan liege jetzt bei knapp 10 Millionen, mit weiteren zwei Millionen in Nachbarländern.

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