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Massaker an Tamilen

■ Bereits 500 Tote bei der Offensive gegen die Tamilen im Norden Sri Lankas? / Berichte über Brandbomben und Flächenbombardements / Tempel mit Zivilisten bombardiert / Indiens Regierungschef spricht von einem Massaker der Tamilen

Aus Madras Biggi Wolff

Bei der Offensive der sri–lankanichen Armee gegen die Tamilen im Norden des Landes sind in den letzten drei Tagen mehrere Hundert Menschen getötet worden. Mehr als fünfhundert Tamilen sol len nach Meldungen der „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ bei der Offensive auf der Jaffna Halbinsel getötet worden sein. Bei Versuchen, die nordöstliche Region Vadamarachi zu überrennen, die als das Kernland der Guerilla bezeichnet wird, sei die Zivilbevöl kerung anhaltenden Luftbombardements, Granat– und Artilleriefeuer unterworfen worden. Der Sprecher der „Tigers“, Balasingham, erklärte in Madras, die Soldaten hätten Menschen aus ihren Schutzbunkern herausgezerrt und massakriert. Der Küstenort Velvettiturai, Heimat des Tiger– Führers Prabakaran, sei am Donnerstag durch Beschuß der Luftwaffe und der Marine dem Erdboden gleichgemacht worden. „Sie setzen die Luftwaffe ein, um unter jeglicher Mißachtung von Menschenleben ein Höchstmaß an Schaden am Leben und Eigentum der Zivilbevölkerung anzurichten“, fügte Balasingham hinzu. Nach Berichten der indischen Presse, die ihre Titelseiten am Freitag nahezu vollständig der Kriegsberichterstattung aus Sri Lanka widmete, ist der nordöstliche Küstengürtel um Vadamarachi mit Brandbomben übersät worden. Mit einer Mischung aus Benzin, Bitumen, Chemikalien und Sprengstoff seien 150 Fässer über dichtbesiedelten Wohngegenden abgeworfen worden. Häuser, Schulen und Tempel stünden in Flammen. Die medizinische Versorgung der Verwundeten gestalte sich äußerst schwierig, da selbst Krankentransporte beschossen würden. Seit Dienstag morgen läuft unter der Bezeichnung „Operation Liberation“ mit Beteiligung der Luftwaffe, Marine und der Bodentruppen die Endoffensive auf der von 800.000 Tamilen bewohnten Halbinsel in Nord–Sri Lanka. Die Stadt Jaffna soll mit ihren ausgebrannten Häusern, Geschäften und Tempeln einer Geisterstadt gleichen. Ein Sprecher der Guerillaorganisation „Eelam Revolutionary Organisation Eros“ erklärte in Madras, am Donnerstag seien zwei große Tempel durch Brandbomben aus Kampfhubschraubern zerstört worden. Zahlreiche Menschen, darunter auch der Tempelpriester, seien im Innern verbrannt. Die Regierung hatte die Bevölkerung am Dienstag morgen aufgefordert, in Tempeln Schutz zu suchen und „die Unannehmlichkeiten, die ihnen dabei entstehen“, bedauert. „Ihr Schutz und Ihre Sicherheit sind unser Hauptanliegen“, hieß es in den über Jaffna abgeworfenen Flugblättern. Fortsetzung auf Seite 6 Kommentar auf Seite 4 Der Eros–Sprecher Balakumar sagte, weite Flächen der Halbinsel seien in den letzten zwei Tagen mit Napalmbomben überzogen worden. Nach einer Stellungnahme der Regierung in Colombo sind bei der Offensive 80 Kämpfer und 23 Soldaten umgekommen. Zahlen von getöteten Zivilisten wurden nicht genannt. Sri Lankas Präsident Jayewardene hatte am Mittwoch bei der Einweihung eines neuen Bankgebäudes in Colombo erklärt: „Der Kampf wird so lange weitergeführt, bis sie oder wir gewinnen.“ Lala Lalithathulathmudali, Minister für nationale Sicherheit, gestand ein, daß die Truppen auf „heftigen Widerstand“ stoßen. Die Guerilla hätten über die gesamte Halbinsel Landminen und Bodenfallen gelegt. Die LTTE erklärte dazu in Madras: „Wir kämpfen und wir leisten starken Widerstand. Aber durch die Luftangriffe kommt es zu seiner großen Zahl von Toten unter der Zivilbevölkerung.“ Nach Berichten, die Madras erreichen, soll die Bevölkerung durch Straßengraben, gefällte Bäume und aufgeschichtete Feuerhaufen das Vorrücken der Truppen behindern. Die Menschen auf Jaffna hielten sich seit Tagen ohne ausreichende Nahrungsmittel in selbstgebauten Bunkern auf. Am Donnerstag wurde die seit Dienstag morgen für die gesamte Region geltende Ausgangssperre um 24 Stunden verlängert. Mit scharfen Worten verurteilte gestern Indiens Premierminister Rajiv Gandhi die fortgesetzten Massaker. „Die militärische Option führt zu einem Blutbad. Hunderte sind in den letzten Tagen getötet worden. Tausende von schutzlosen Zivilisten in Jaffna werden systematisch flächendeckenden Bombadierungen unterworfen.“ Der Premierminister sprach von einer schlimmen Verletzung jeglicher Menschenrechtsgrundsätze, wenn eine Regierung ihre eigenen Bürger „kalkuliert abschlachte“. Er rief die Weltöffentlichkeit auf, Druck auf die srilankanische Regierung auszuüben, um das Morden zu beenden. „Aus Schutt und Asche kann nur eine völlige Entfremdung eines ganzen Volkes hervorkommen“, endet das Regierungskommunique aus Neu–Delhi.

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