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Marzahner testen die Demokratie

■ In Marzahn wurde das erste Bürgerbegehren Ost-Berlins durchgeführt/ Über 13.000 Menschen unterschrieben für einen Mietenstopp im Plattenbaubezirk/ Miete hat sich verfünffacht

Marzahn. »Wir haben es geschafft«, jubelt Walter Warmuth von der MieterGemeinschaft im Plattenbaubezirk Marzahn. Bis jetzt unterschrieben 13.365 Menschen das von ihm initiierte Bürgerbegehren für einen sofortigen Mietstopp; 2.000 mehr als erforderlich. Nun muß sich die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mit der Forderung auseinandersetzen, die Mietpreise im »Beitrittsgebiet« so lange einzufrieren, bis in Ost und West gleiche Einkommensverhältnisse herrschen.

Im Vergleich zu 1989 haben sich die Warmmieten in Marzahn durchschnittlich vervier- bis verfünffacht. »Unsere Löhne sind aber nicht in annäherndem Maße gestiegen«, ergänzt Walter Warmuth. Im Gegenteil: Während die Kosten seiner Fünfraumwohnung im Oktober 1990 von 174 auf 719 Mark kletterte, sank das Einkommen der fünfköpfigen Familie von 2.800 auf 1.900 Mark. Fast jeder zweite Marzahner ist arbeitslos oder in Umschulung.

Die Mieten nach oben trieben vor allem die Betriebskosten, die in den östlichen Neubaubezirken höher liegen als im Westteil. Dafür verantwortlich ist sowohl die schlechte Isolierung der Plattenbauten und Fernwärmerohre als auch die fehlende Möglichkeit, die Heizung individuell zu regeln.

Kein Wunder, daß das erste Ostberliner Bürgerbegehren auf große Resonanz, aber auch auf Probleme stieß. Das Bezirksamt fühlte sich von den demokratischen Regungen der Bevölkerung überfordert und mußte erst mal Amtshilfe aus Steglitz anfordern. Da sich viele Marzahner nicht trauten, auf den Unterschriftenlisten Adresse und Geburtsdatum anzugeben (»Wer weiß, wo das landet«), war die MieterGemeinschaft gezwungen, mehrmals Unterschriften nachzusammeln.

Den »Riesenaufwand« findet Bezirksbürgermeister Andreas Röhl (SPD) im nachhinein »richtig und wichtig«. Unterstützte anfangs nur die PDS die Initiative, sprachen sich mit den näherrückenden Bezirkswahlen auch CDU und SPD dafür aus. Allerdings plädiert Röhl statt für einen Mietenstopp für eine »bessere Gestaltung der sozialen Unterstützung«: »Wenn ich als Bürgermeister nur 250 Mark Miete bezahlen müßte, wär' das doch ungerecht.« Die Erfolgschancen des Bürgerbegehrens schätzt Röhl als gering ein. »Am Ende kommt ein Brief an den Senat heraus, und ob der ihn nach Bonn weiterleitet, ist fraglich.« Nur der Bundestag kann den geforderten Mietenstopp beschließen.

»Durchaus anfreunden« kann sich der Marzahner Bezirksbürgermeister mit dem Gedanken, Bürgerbegehren auch auf Landes- und Bundesebene einzuführen. »Wir Politiker brauchen es, daß sich die Bürger engagieren.« Aber auch die Marzahner Bevölkerung scheint an der direkten Demokratie Gefallen zu finden. Ein zweites Bürgerbegehren zur Verlängerung der Wuhlethalstraße nach Hallersdorf ist in Vorbereitung.

»Vielleicht haben die Leute begriffen, daß sie ihr Geschick selber in die Hand nehmen müssen«, hofft Warmuth. Von vorneherein sei der MieterGemeinschaft klar gewesen, daß weiteres Engagement nötig sein wird, um einen Mietenstopp durchzusetzen. »Das Bürgerbegehren war eine hervorragende Möglichkeit, die Bevölkerung zu mobilisieren«, meint auch Warmuths Mitarbeiter Bodo Meineke. Er forderte deshalb die Mieterinitiativen anderer Ostberliner Bezirke auf, dem Marzahner Beispiel zu folgen: »Wenn erst eine Million Berliner verrückt spielen, muß die Bundesregierung auf uns hören.« Micha Schulze

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