: Marx und Genossen - ab ins Panoptikum?
■ Eine Diskussion über die Zukunft der Hinterlassenschaft sozialistischer Denkmalskunst in der Humboldt-Uni
Ost-Berlin. Während Marx und Engels aus den Brieftaschen der DDR-Bürger entschwanden stehen sie in Stein, Bronze oder Marmor noch auf den Plätzen des ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaates. Doch droht auch ihnen und allen zum Denkmal geronnenen Nachfolge-Revolutionären das Aus. Anfang des Jahres startete der DDR-Grafiker Joachim John einen Angriff gegen das gewaltige, von sowjetischen Monumentalkunstspezialisten in die Ostberliner City geklotzte Thälmann-Denkmal.
Der Künstler, dem es eigentlich um eine Ehrenrettung des dargestellten KPD-Führers ging, wurde gründlich mißverstanden und zur Gallionsfigur einer großangelegten Säuberungskampagne aufgebaut. Ohne öffentliche Diskussionen verschwanden in der Folgezeit alle für die Ewigkeit konzipierten, in Eisen gegossenen oder Stein gemeißelten Honecker-Sprüche, der Hinweis auf den SED-Gründungsparteitag am Admiralspalast und andere weniger auffällige Politkunstwerke. Kunstgeschichtsstudenten der Humboldt -Universität und der Freien Universität gründeten, um der schleichenden Vergangenheitsbewältigung Einhalt zu gebieten, eine Initiativgruppe „Berliner Denkmäler seit 45“. Am Freitag lud die Gruppe zu einem Diskussionsabend in die Humboldt-Uni ein.
Die versammelte Experten aus beiden Teilen der Stadt waren sich indes darin einig, daß es vor allem darauf ankomme, Alternativen zum drohenden Abriß zu finden. Gabriele Muschter, Kunstwissenschaftlerin und jetzt Staatssekretärin im Kulturministerium der DDR, plädierte für die Einrichtung eines „Panoptikums“, in der die von ihren Plätzen entfernten Zeugen der 40jährigen SED-Denkmalpolitik dann überdauern könnten.
Die Entgegnung Kunst müsse ernstgenommen werden und besitze mehr als nur Erinnerungswert, brachte die leidige Frage nach den Kriterien für Kunstbewertung auf den Tisch. Helga Möbius, führende DDR-Kunsthistorikerin und Dozentin an den Humboldt-Universität, sprach sich für eine Einbeziehung weiterer Objekte aus: Nicht nur das Lenindenkmal oder der Thälmann-Koloß würden zur „ideologischen Kunst“ gehören, sondern auch die zahlreichen Darstellungen der sozialistischen Menschengemeinschaft in den Wohngebieten, die nackten Mädchen und Knaben auf dem Brunnenrand, hätten „systemstabilisierend“ gewirkt.
Um die Werke vor Vandalismus und Kommerz zu schützen kommt man ohne Administrieren nicht aus. Das erweist sich jedoch als kompliziert, da die Verantwortlichkeiten im im Einzelfall auf Betriebe, Kommunen und Einrichtungen verteilt sind. So müßte man wegen des Berliner Thälmann-Denkmals mit dem Stadtgartenamt verhandeln. Außerdem ließ Chef -Denkmalpfleger Kowalczyk durchblicken, würden sich die Vertreter seiner Institution durch die Parteinahme für „Staatskunst“ nicht unbeliebt machen wollen.
Geschichts-Professor Mittig von der FU mahnte an, daß es auch um eine inhaltliche Diskussion gehen müsse. Wie steht es etwa um die Mahnmale für erschossene Grenzsoldaten im Osten und um die Kreuze für die Mauer-Opfer im Westen? Mittig warnte vor jeglicher Verfremdung oder Kommentierung der Denkmäler, die dadurch ihren provozierenden Charakter verlören.
Vor dem Hintergrund der Nachkriegserfahrungen war man sich darin einig, daß es vor allem zeitlicher Distanz bedürfe, Wert oder Unwert der Objekte einzuschätzen. Auch Willi Geismeier, aussichtsreichster Kandidat für den Chefposten der Staatlichen Museen zu Berlin, riet zur Sicherstellung der Denkmäler in Depots an. Schließlich könne man nicht nur abwarten, bis die alten Schinken dem Legitimationsbedürfnis der neuen Herren ihren Schutz verdanken. Das Thema müsse, darin bestand ebenfalls Einigkeit, in die Öffentlichkeit getragen werden. Parteien und Verbände wurden jedenfalls zur Stellungnahme aufgefordert.
Peter Walther
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