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Marx, aber grün

Mit Rückgriff auf Marx versucht „Klima und Kapitalismus“ eine ökosozialistische Zukunft zu entwerfen. Das Buch liefert nichts revolutionär Neues – und genau darin liegt seine Stärke

Von Johannes Greß

Was IPCC-Berichte und Greta Thunberg nicht geradebiegen konnten, soll jetzt also Marx richten. Weder tausendseitige Berichte noch wissenschaftlich elaborierte Untergangsszenarien, Straßenblockaden und Protestikonen hätten etwas daran geändert, dass sich die Umwelt- und Klimakrise Tag für Tag radikalisiert. So lautet der Ausgangsbefund von Katja Wagner, Maria Neuhauss und Maximilian Hauer in ihrem Buch „Klima und Kapitalismus“. Sie fordern: Zurück zu Marx! Und landen abschließend bei der Frage, wie sich denn das Rote mit dem Grünen, Sozialismus und Ökologie verbinden lassen.

Aber der Reihe nach. Nach einer kurzen Einführung in die naturwissenschaftlichen Basics (Treibhauseffekt, Kohlenstoffkreislauf, planetarische Grenzen, Anthropozän) geht es ans Eingemachte: die Wechselwirkungen zwischen Natur, Arbeit und Gesellschaft und die unweigerliche Kollision einer zum Wachstum verdammten kapitalistischen Produktionsweise mit natürlichen Grenzen. Wagner, Hauer und Neuhauss fokussieren dabei auf den – lange ignorierten und unlängst vom Philosophen Kohei Saito popularisierten – späten, grünen Marx.

Marx’ „materialistischer Geschichtsauffassung“ zufolge ist der Mensch als „Naturwesen“, unabhängig vom politischen und ökonomischen System, auf den Austausch mit seiner natürlichen Umgebung angewiesen. Mittels dieses „Stoffwechsels“ befriedigt der Mensch seine objektiven (Nahrung, Energie) wie subjektiven (Smartphone, taz-Abo) Bedürfnisse. Wie eine Gesellschaft diesen Stoffwechsel ­organisiert, ob zugunsten der Profite einiger weniger und ohne Rücksicht auf ökologische Folgen oder zum Wohle aller, das ist eine politische Frage.

Es ist eine Machtfrage, ob eine Gesellschaft fossile Brennstoffe (aus Autokratien) importiert und damit Verbrennungsmotoren betreibt, die über zubetonierte Flächen rollen, wovon die Be­sit­ze­r:in­nen weniger Automobilkonzerne profitieren; oder ob eine Gesellschaft Strom aus Wind, Sonne oder Wasser gewinnt und damit Züge betreibt, die allen für wenig Geld zur Verfügung stehen.

Die Marx’sche Stoffwechsel­theo­rie bildet das anschaulich präsentierte Grundgerüst, auf dem die Au­to­r:in­nen aufbauen, um dann in die Gegenwart zu zoomen: die Widersprüche und Unzulänglichkeiten „liberaler“ Umwelt- und Klimapolitik. Klimapolitiken wie der Green New Deal oder der Handel mit CO2-Zertifikaten, kritisieren die Autor:innen, verbleiben innerhalb des kapitalistischen Rahmens, innerhalb einer Produktionsweise, die auf Profit und nicht auf ein besseres Leben zielt.

Das Lesenswerte an dem gut 200-seitigen Buch ist, dass Wagner und Co beim ohnehin viel gescholtenen Green New Deal nicht haltmachen, sondern auch das eigene Milieu durchforsten. Sie befassen sich mit den Konjunkturen von Fridays for Future, nehmen sich die Postwachstums- und Degrowth-Debatte vor und brechen mit der Annahme, Sozialismus sei per se ökologisch.

Katja Wagner, Maria Neuhauss, Maximilian Hauer:„Klima und Kapitalismus. Plädoyer für einen ökologischen Sozialismus“. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2025, 204 S., 15 Euro

Nach Marx und der Analyse des klimapolitischen Status quo wenden sich die Au­to­r:in­nen der Zukunft zu, ihrem Verständnis eines ökologischen Sozialismus. Jenseits grünkapitalistischer Scheinlösungen gelte es den gesellschaftlichen „Stoffwechsel“ grundlegend anders zu organisieren. Nur eine Gesellschaft, die Wachstumszwang und Privateigentum an Produktionsmitteln überwindet, ist nach Meinung der Au­to­r:in­nen in der Lage, die ökologische Krise zu bearbeiten. Nur eine sozialistische Gesellschaft erlaube es, die Produkte der Arbeit so einzusetzen und zu verteilen, dass sie für ein gutes Leben für alle reichen.

Holpriger gestaltet sich die Suche der Au­to­r:in­nen nach dem Subjekt einer solchen sozialökologischen Transformation. Etwas voreilig und theoretisch unterkomplex wirkt die Annahme, die Ar­bei­te­r:in­nen­klas­se sei prädestiniert für das ökosozialistische Projekt, denn der Mittelklasse oder technischen Ex­per­t:in­nen wie In­ge­nieu­r:in­nen fehle die nötige „proletarische Grunderfahrung“. Folglich könne es eine „klassenübergreifende Politik“ mit der „kapitalistischen Klassenherrschaft nie aufnehmen“.

„Klima und Kapitalismus“ liefert nichts revolutionär Neues, doch es leistet eine fundierte Einführung in die Thematik. Und es bringt Ordnung in eine mitunter verworrene, ausfransende Debatte ökosozialistischer und ökomarxistischer Theorie, die sich in den vergangenen Jahrzehnten nur mühsam diverser Halbwahrheiten entledigen konnte. Es bleibt zu hoffen, dass auch die ein oder andere Protestikone in spe über dieses Buch stolpert.

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