Markt und Militär: Raus aus China?

Die SPD und die Grünen streiten, wie Bundesregierung und EU künftig mit und gegen China agieren. Noch unangenehmer wird es, wenn China Taiwan angreift.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu Besuch in China Foto: picture alliance/dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 18.04.2023 | Wie soll Deutschland, wie soll die EU künftig mit China umgehen – oder gegen China vorgehen? Das will die Bundesregierung bis Frühsommer strategisch festlegen. Bisher liegen SPD und Grüne weit auseinander. Zunächst ein paar Fakten über China.

■ China ist die zweitgrößte Wirtschaftsmacht auf der Erde und baut im Systemwettbewerb mit den westlichen Demokratien seine Machtpositionen permanent aus. Es ist der kommunistischen Führung gelungen, viele westliche Demokratien in lebenswichtigen Bereichen von der ausschließlichen Produktion strategisch wichtiger Güter in China abhängig zu machen.

■ China investiert in die Infrastrukturen in den Schwellenländern Afrikas, aber auch Südamerikas. Viele dieser politisch instabilen Länder werden so an China gebunden.

■ China hat, trotz beachtlicher Investitionen in erneuerbare Energien, mit dem gleichzeitig ungebremsten Ausbau seiner fossilen Stromerzeugung die USA als größter CO2-Emittent der Welt überholt und wird auch auf Jahrzehnte hinaus das meiste CO2 verursachen (wobei pro Kopf gerechnet die USA und auch Europa mehr emittieren).

■ China hat mit seinen digitalen Informationstechnologien und der Künstlichen Intelligenz in der westlichen Welt destabilisierende Brückenköpfe aufgebaut, deren Wirkungen kaum überschaubar sind.

■ China hat seine Überwachungsdiktatur auf jeden einzelnen Bürger ausgedehnt. Keine Opposition, sei sie noch so mutig, hat auf absehbare Zeit eine Chance, einen Systemwechsel auf den Weg zu bringen.

■ China hat die am schnellsten alternde Bevölkerung der Erde. Für die daraus resultierenden finanziellen und sozialen Verwerfungen gibt es keine Konzepte.

■ China investiert Milliarden in die Aufrüstung seiner Armee. Auch wenn es noch lange nicht zu einer Bedrohung der amerikanischen Militärmacht werden wird – das chinesische Militär wird Jahr für Jahr kriegsfähiger.

■ China hat sein Bündnis mit Russland seit dessen Angriff auf die Ukraine vertieft. Es behauptet zwar, den Russen keine Waffen zu liefern. Faktisch aber werden die Waffenarsenale der Russen kampffähig gehalten mit „dual use Produkten“, die zivil, aber eben auch militärisch genutzt werden können.

■ China weigert sich, auf Russland einzuwirken, den Ukraine-Krieg zu beenden. China kündigt immer wieder die Eroberung Taiwans mit Waffengewalt an und bekräftigt seine Drohungen mit Manövern vor den Küsten des östlich von China gelegenen Inselstaates.

Streitpunkt Chinastrategie

Vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen der Bundesregierung zu bewerten, eine deutsche und europäische Chinastrategie zu formulieren. Große Teile der SPD, der CDU und der FDP fordern – aus Angst vor den wirtschaftlichen Folgen – die über Jahrzehnte selbst herbeigeführte Abhängigkeit von China zwar durch Diversifizierung der Abhängigkeitsrisiken zu reduzieren, ansonsten aber die enge Kooperation fortzuführen. Nur die Grünen und Außenministerin Annalena Baerbock möchten eine „Raus aus China-Strategie“ verfolgen. Sie wollen damit jeder Erpressbarkeit des Westens die Grundlage entziehen.

Das ist eine erhebliche Differenz in den strategischen Ansätzen, die allerdings Makulatur würde, wenn China versuchen sollte, Taiwan militärisch zu erobern. Stand jetzt muss davon ausgegangen werden, dass die USA dann unter vollem Einsatz ihrer Militärmacht das Zurückschlagen eines chinesischen Angriffs unterstützen werden. Europa und alle westlichen Verbündeten müssen dann entscheiden, wie wichtig die Rettung Taiwans für die Demokratien des Westens ist und ob sie aktive Kriegspartei an der Seite der USA werden.

Frankreichs Präsident Emanuel Macron tendiert zu Raushalten. „Der Konflikt um Taiwan ist nicht unsere europäische Krise“, sagte er letzte Woche in Peking. Ralf Mützenich, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, stimmte einen Tag später zu: „Europa muss schon aufpassen, eine eigenständige Rolle so weit wie möglich zu formulieren“, sagte er, „um nicht als Anhängsel der USA dort in der Region zu erscheinen.“ Da ist er wieder, der gute alte Antiamerikanismus – verbunden mit der fehlenden Bereitschaft, demokratische Werte an der Seite Amerikas nicht nur rhetorisch zu verteidigen, sondern Kriege dafür zu führen.

Aber: Ist es möglich, dass amerikanische Soldaten in Taiwan für Verteidigung der demokratischen Freiheiten der Taiwanesen kämpfen und sterben, während die europäische und deutsche Industrie – wie etwa Siemens – weiter Hard- und Software für das chinesische Militär liefert? Dass Volkswagen-Autos und Maschinen aller Art weiter in China gebaut werden und Europa weiter seine Wärmepumpen und alle Antibiotika aus China bezieht? Das ist alles sehr unangenehm, aber genau deshalb muss man jetzt darüber sprechen und das Pro und Contra zu Ende denken.

Nur die USA können Europas Freiheit garantieren

Ich meine: Es ist notwendig, dass Europa seine militärische Verteidigungsfähigkeiten ausbaut, um im Fall des Falles einen größeren Beitrag zur Verteidigung aller EU-Mitglieder leisten zu können. Dazu gehört, wie von Macron vorgeschlagen und in der Bundesrepublik vehement beschwiegen, eine eigene europäische Atomstreitmacht. Aber selbst das ändert nichts daran, dass nur die USA die Freiheit Europas und vor allem Osteuropas garantieren können.

Wer also den USA die Unterstützung im Kampf für die Unabhängigkeit Taiwans verweigert, gefährdet die Verteidigung der demokratischen Freiheiten ganz Europas. Man muss sich klar machen: Wäre die Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen den russischen Aggressor allein auf die militärische Hilfe aus Europa angewiesen, sie wäre schon längst eine russische Kolonie. Georgien und Moldawien müssten um ihre souveräne Existenz fürchten. Einen russischen Angriff auf eines der Nato-Mitglieder im Baltikum abzuwehren, das könnten und würden die übrigen Europäer ohne die amerikanische Militärmacht wohl gar nicht erst versuchen.

Ein strategisches „Raus aus China“ der Bundesregierung und der EU könnte, abgestimmt mit den USA, sogar die imperialen Gelüste der chinesischen Führung bremsen. Die Chinesen könnten dann realisieren, dass ihnen eine internationale Isolierung durch einen Angriff auf Taiwan schwere wirtschaftliche und politische Schäden zufügen würde.

Es ist jedenfalls interessant, dass viele Sozialdemokraten nichts aus ihrer gescheiterten Russland-Politik lernen wollen, während viele Grüne sich zu überzeugten Transatlantikern weiterentwickeln.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.

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