Mark-Rothko-Ausstellung und -Buch: Unter Halunken
"Das Vermächtnis des Mark Rothko", ein Buch von Lee Seldes, beschreibt das Verhältnis des Malers zum Kunsthändler. In München ist sein Werk zu sehen.
Die aktuelle Ausstellung der Hypo-Kunsthalle München ist ein Angebot, das man unmöglich ablehnen kann. Mit über 100 Gemälden und Papierarbeiten ist die Schau wahrscheinlich eine der letzten Gelegenheiten, das Werk Mark Rothkos in so umfassender Form zu sehen. Das liegt an den 73 Millionen Dollar, bei denen letztes Jahr bei Sothebys der Hammer für Rothkos "White Center" fiel. Mit solchen Preisen schießen auch die Versicherungssummen in die Höhe. Museen können es sich dann nicht mehr leisten, die Werke auszustellen.
Dabei hatte sich Mark Rothko immer gewünscht, seine Arbeiten als Werkkomplexe in Museen und anderen öffentlichen Kunst- und Kulturinstitutionen zu zeigen. Noch 1960 kaufte er neun Wandgemälde zurück, eine Auftragsarbeit für das Four-Seasons-Restaurant in Mies van der Rohes Seagrams Building, "einem Schuppen", wie er sagte, "in dem die größten Scheißkerle von New York essen gehen und angeben". Dass seine Bilder ihnen die Laune verderben könnten, wie von ihm beabsichtigt, glaubte er zu dem Zeitpunkt nicht mehr. Er vermachte die Gemälde der Londoner Tate, die dem Ensemble einen eigenen Raum widmete. Damit diese ideale Öffentlichkeit für seine Kunst kein Einzelfall blieb, brauchte es einen langen Kampf.
Denn die Frage, die das Auftreten mancher großer Galeristen hin und wieder aufwirft, nämlich, was, um Gottes willen, sie ihren berühmten Künstlern eigentlich zu bieten haben außer einem Nummernkonto in der Schweiz, spielt im Fall Mark Rothkos und seiner künstlerischen Hinterlassenschaft eine wichtige, ungeklärte Rolle. Nur dieses Schweizer Nummernkonto, mit dem Mark Rothko immer wieder prahlte, kann die ausbeuterischen Verträge erklären, die er mit Francis Kenneth Lloyd, einem der mächtigsten Männer des damaligen Kunstmarkts, eben einem der Scheißkerle aus dem Four Seasons, abschloss. Das ist die These der Journalistin Lee Seldes, die den sechs Jahre dauernden Prozess mitverfolgte, den Mark Rothkos Tochter Kate nach dessen Selbstmord am 25. Februar 1970 gegen die Nachlassverwalter ihres Vaters und gegen Lloyd, den Betreiber der weltweit operierenden Marlborough Gallery mit Geschäftssitz in Lichtenstein, anstrengte.
Sie gewann, unter hohen Kosten. Das gegen ihn ergangene Urteil auf Rückgabe von 658 Bildern aus dem Nachlass und 9.252.000 Dollar Schadensersatz und Strafe wegen Insidergeschäften und Scheinverkäufen interessierte Lloyd nicht. Schließlich war er in Lichtenstein vor der amerikanischen Strafverfolgung in Sicherheit. Er schaffte die Bilder nach Kanada, um sie von dort nach Europa zu holen. Sein Plan ging nicht auf. Trotzdem gingen dabei wie durch seine weiteren Machenschaften, etwa Ringverkäufe, mit denen die Preise hochgetrieben wurden, viele Werke bis heute verloren.
So interessant die Irrungen und Wirrungen des Prozesses sind, den Kate Rothko mit Hilfe der New Yorker Generalstaatsanwaltschaft gewann, die als Nebenkläger für Rothkos gemeinnützige Stiftung auftrat, wirklich aufschlussreich ist Seldes Bericht hinsichtlich der Gepflogenheiten des internationalen Kunstmarkts und seiner Klientel. Ihnen galten lukrative Seilschaften und geteilte Loyalitäten als völlig normal, selbst die gegnerischen Anwälte waren darin verstrickt. Auffälligerweise wirkten sie sich stets zugunsten von Lloyd aus. Die Erklärung lieferte Gerald Dickler mit seiner freimütigen Bemerkung, er habe eben "für Halunken etwas übrig". Dickler vertrat eben nicht nur Rothkos Sohn Christopher, er vertrat auch das Selbstverständnis der herrschenden Klasse.
Hier mag man nicht nur die Halunken, sondern sucht sich ganz selbstverständlich als der größte Bastard hervorzutun, der mit geschickt gehandhabten betrügerischen Methoden - an deren vorderster Stelle Insidergeschäfte rangieren - Gewinne erzielt, die unter korrekten Umständen undenkbar sind. Die Kunstszene, schreibt Lee Seldes, war sich einig, "dass Kunsthändler sich eben Freiheiten herausnehmen". In the long run kam Lloyd damit durch. Er verdiente mehr an Rothko, als er aufgrund der gegen ihn ergangenen Urteile verlor.
Vor diesem Hintergrund wird München zu einem weiteren Angebot, das man nicht ablehnen sollte: in den Gemälden nicht die bekannten kryptosakralen Sensibilitäten zu suchen, mit denen der Kunstmarkt seine Geschäfte macht, indem er behauptet, sie seien nur in exklusiver Versenkung erfahrbar. Was dann 73 Millionen kostet. Stattdessen gilt es die profanen Erfahrungen des depressiven Kettenrauchers und Alkoholikers Mark Rothko in ihnen zu entdecken. Seine Empörung, Arroganz und Anmaßung im Wechsel mit Kleinmut und Niedergeschlagenheit, seine Rachefantasien und seine Siegesgewissheit, die ihn antrieben, nicht locker zu lassen und die Wucht der Farben zu steigern, bis sie zornig oder auch triumphal im Bildraum heraufzogen.
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