piwik no script img

Mariza über den Ursprung des Fado„Fado ist die Musik der Seele“

In Lissabon ist Mariza ein Star. Nach der schwierigen Geburt ihres Sohnes machte sie eine lange Pause, jetzt tourt sie durch Deutschland.

Mariza sang schon als 5-Jährige Fado-Lieder. Foto: Carlos Ramos
Interview von Gaby Sohl

taz: Mariza, Fado gilt vielen als Inbegriff des melancholischen portugiesischen Klagegesangs, aber es gibt auch den Fado Alegria. Bei diesen fröhlichen Fadoliedern verwandeln Sie sich auf der Bühne in einen Flummi – auf Stöckelschuhen.

Mariza: Ich werde nie eine Lady sein! Ich versuch’s, wirklich . . . Aber eigentlich bin ich eine Wilde. Ich bin in Mouraria aufgewachsen, das ist die Bronx von Lissabon. Ich liebe die Bühne, ich liebe elegante Abendkleider, aber in meinem Alltag will ich Jeans und Sneakers. Selbst mein Mann guckt mich manchmal schräg an und sagt: Bist du ein Junge? Weil ich so gern mit meinem Sohn herumtobe. Ich bin ein großes Mädchen!

Sie waren die erste einer neuen Generation von Fadosängerinnen, die nach dem Tod von Amália Rodrigues 1999 den Fado wieder weltweit populär gemacht hat.

Amália ist unsere Königin. Wir werden nie wieder jemanden wie sie erleben.

Im Interview: Mariza

Das Leben: Marisa dos Reis Nunes wurde am 16. Dezember 1973 in Mosambik geboren. Sie war drei, als ihre Familie nach Lissabon zog. Fado-Lieder sang Mariza bereits als 5-Jährige in der Taverne ihrer Eltern. Die Texte malte ihr Vater als Cartoons. Mariza ist verheiratet und hat einen vierjährigen Sohn. Nach mehreren Welttourneen wurde sie dreimal mit dem BBC-Award Best European Artist im Bereich World Music ausgezeichnet. Am 7. Juni erhielt sie den Dresdener Musikfestspielpreis für ihr Lebenswerk. Sie war offizielle Botschafterin für Portugal, als Fado in die Unesco-Liste der Weltkultur aufgenommen wurde.

Die Tour: 16. 11. Berlin: Konzerthaus 18. 11. München: Gasteig 19. 11. Essen: Philharmonie

Amália hat die moderne portugiesische Lyrik mit der Tradition verbunden. Diese Gedichte versteht das internationale Publikum aber gar nicht.

Muss es auch nicht! Die Lyrik ist die zweite Dimension, aber Fado ist vor allem die Musik der Seele. Alles ist Gefühl. Fado ist sehr portugiesisch, er repräsentiert unsere Kultur. Aber die Seele lässt sich nicht für eine einzige Sprache reservieren. Gott ist für alle da! Fado und Religion – das gehört zusammen.

In welcher Form?

Wir Portugiesen sind sehr ­religiös. Wir verändern uns, wir öffnen uns mehr. Heute versuchen wir die verschiedensten Leute und Kulturen zu verstehen, zu akzeptieren. Aber in den alten Underground-Fado-Ta­ver­nen, wo Touristen normalerweise nicht hinfinden, da sieht man manchmal wirklich harte Typen mit Tattoos und Pier­cings, und wenn sie anfangen zu singen, werden alle ganz still. Dann muss ich schmunzeln: Ihr da draußen denkt, dieses Raubein glaubt nicht an Gott? Natürlich tut er das! Hört doch zu! Wer Fado singt, ist gläubig.

Der Begriff „Fado“ stammt ursprünglich aus dem Lateinischen: Fatum, das Schicksal.

Fado kommt aus der Arbeiterklasse, von den Matrosen, Prostituierten und Sklaven. Ihr Schicksal war hart. Natürlich haben die Matrosen an Gott geglaubt, an die Sterne, woran sonst? Sich vor 500 Jahren in ein kleines Boot zu quetschen, um diesen gigantischen Ozean zu überqueren, war ein Riesenwagnis.

Viele sind dabei gestorben . . .

Vor allem die Sklaven! Man hat sie von ihrem Land weggeholt, in ein unglaublich armes, elendes Leben gezwungen. Sie mussten an etwas glauben, damit sie überhaupt die Kraft fanden, jeden Tag wieder aufzustehen. Sie mussten sich an etwas festhalten, und dieses Etwas war die Musik. Fado ist aus den nächtlichen Gemeinschaftstänzen entstanden – in Brasilien, in Afrika. Portugal ist ein großer Mix der Kulturen. Weil die Portugiesen durch die ganze Welt gereist sind . . .

. . . und die halbe Welt in Übersee kolonisiert haben.

Ich bin in Mosambik geboren. Die Mutter meiner Mutter war schwarz. Und ich bin Portugiesin. Wir wurden von vielen Teilen der Welt beeinflusst. Und genau deshalb ist der Fado so reich und vielfältig. Das gilt auch für Tango, den griechischen Rembetika – die Musik aus den Hafenstädten hat überall neue Einflüsse mit nach Hause gebracht.

Seit Jahren fliegen Sie mit Ihren Gitarristen um die ganze Welt. Ein enorm anstrengendes Leben, oder?

Es ist völlig verrückt. Ich habe 100, 120, manchmal 140 Konzerte gegeben – im Jahr! Irgendwann fand ich überhaupt keine Zeit mehr für anderes, für mich selbst schon gar nicht. Ich bin fast verzweifelt. Ich wollte nur noch singen; ich hatte auch nichts anderes mehr. Meinen Vater, meine Mutter, aber ansonsten war mein Leben leer. Und dann hat das Leben mir ein Kind geschenkt! Ich bin ein anderer Mensch geworden. Ich wache morgens auf und bin einfach glücklich.

Auf der Bühne wirken Sie, als hätten Sie alles komplett unter Kontrolle.

Das hab ich aber gar nicht! Ein paar Minuten vor dem Auftritt bin ich das reinste Nervenbündel. Mir wird total kalt, in meinem Kopf kreist immer nur die Frage: Was, wenn ich jetzt nicht so bin, wie die Leute es erwarten? Wenn das Publikum schüchtern ist – werde ich auch schüchtern. Viele verstehen das nicht, weil ich immer lache. Aber tief drin zittere ich. Und dann entspanne ich mich langsam. Aber Kon­trolle? Nein. Ich bin ja nicht die Dirigentin – das Publikum dirigiert den Abend. Musik ist immer Geben und Empfangen. Wenn das Publikum enthusiastisch ist, wird es auch ein enthusiastisches Konzert.

Nach all diesen Welttourneen, was bedeutet Ihnen Lissabon?

Das Licht! Dieses Licht habe ich nirgendwo auf der Welt gefunden. Wenn mein Flugzeug landet, und ich aus dem Fenster gucke und dieses Licht sehe: boom! Meine Energie ist wieder da! Ich bin zu Hause! Lisboa! Du kannst dich frei fühlen, du kannst überall hin zu Fuß gehen, das Wetter ist gut und der Wein, die Leute sind freundlich.

Wo gehen Sie hin, wenn Sie traurig sind?

Wenn ich traurig bin, gehe ich nirgendwohin. Dann bleibe ich zu Hause. Manchmal setze ich mich ins Auto und fahre nachts am Fluss entlang. Die vielen Lichter, die Sterne. Der Tejo ist so schön.

Und wenn Sie wirklich gute Laune haben?

Tasca do Chico! Das ist ein kleines Lokal, in dem Amateure Fado singen. Ich singe dort auch manchmal, nur für Freunde, nur zum Spaß.

„Mundo“, Ihr neues Album, ist eine leise, eher ruhige Reise.

Es ist mein erstes Studio-Album nach fünf Jahren Pause. Es ist etwas passiert, das mich gezwungen hat, mein Leben komplett zu verändern. Ich bin fast gestorben mit meinem Baby. Es gab große Komplikationen in der Schwangerschaft, und gegen alles und jeden habe ich beschlossen, dass mein Kind zur Welt kommen wird. Alle haben gesagt, Mariza, er kann gar nicht überleben, und ich habe gesagt: Doch! Er wird auf die Welt kommen!

Wie haben Sie diese Zeit überstanden?

Ich habe den ganzen Tag mit ihm gesprochen: Martim, wir sind zwei, ja, aber gleichzeitig, jetzt, sind wir eins! Ich liebe dich so sehr, bitte, bitte, hör mir zu! Wir sind Kämpfer! Martim, wir kämpfen! Hörst du mich, du wirst leben. Und mit 26 Wochen war er da.

Das ist sehr früh! War er gesund?

Einer seiner Lungenflügel ist nicht richtig mitgewachsen. Ich hatte gedacht: Jetzt ist er geboren, wir haben es geschafft! Aber das war nur der Anfang. Heute ist er ein ganz normales Kind, aber wir hatten große, große Probleme . . .

Er musste in den Brutkasten?

Ja . . . und eines Tages sagte der Arzt zu mir, wenn wir in einer Woche keinen Fortschritt sehen, stellen wir die Maschinen ab und vergessen das alles. Ich habe geantwortet: Nein! Auf gar keinen Fall! Im Leben geschieht nichts, wie soll ich das sagen, ohne kitschig zu klingen. . . nichts geschieht ohne . . .

Ohne Grund?

Und nichts geschieht, ohne Konsequenzen zu haben, Folgen! Wenn Gott mir dieses Baby gegeben hat, dann will das Leben mir etwas zeigen, was ich noch nicht verstanden habe. Eine Woche lang habe ich jeden Tag zu Fatima gebetet. Und nach einer Woche ging es Martim besser. Alles im Leben hat eine Bedeutung. Wir müssen das Leben annehmen, in jedem Moment – ganz! Und auch davon erzählt der Fado.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!