■ Das Portrait: Marco Polo
Il Milione wurde er abschätzig von seinen Zeitgenossen genannt, der Aufschneider. Seinen Reiseberichten über das bis dahin so unbekannte China traute man nicht, und noch an seinem Todestag, dem 9. Januar vor 670 Jahren, nötigte man ihn, zu widerrufen. Zu unglaubwürdig klangen die Schilderungen des venezianischen Kaufmannssohns über das unermeßlich reiche China mit seinen Millionenstädten und prächtigen Palästen. Und von der Macht seines Herrschers Kublai-Khan, dessen Imperium von der Mongolei bis Schlesien und Ungarn reichte. An dessen glanzvollem Hof lebte Marco Polo fast 20 Jahre als Höfling und eine Art Verwaltungsbeamter. 1271 war Marco mit Vater und Onkel – wohl auch, um den damaligen Judenpogromen zu entgehen – nach Osten aufgebrochen. Sie reisten über Bagdad zum Persischen Golf, durch Zentralasien und den Pamir nach Kathai (Nordchina) zum Hof des Großkhans im Kambaluk (Peking).
War er wirklich in China? Bild: taz-Archiv
Sein Buch „Livre du devisement du monde“, das er nach seiner Rückkehr mit Hilfe des Romanschriftstellers Rustichello schrieb, rief zunächst nur ungläubiges Staunen hervor. Nach Marco Polos Tod erst wurde es zu einem der verbreitetsten und bedeutendsten Werke des Hochmittelalters. Seine detaillierten Beschreibungen großer zivilisierter Reiche im Osten revolutionierte die europäische Weltsicht.
Doch war Marco Polo wirklich in China gewesen? In den chinesischen Reichsannalen ist sein Name nicht erwähnt, nur der Besuch von Kaufleuten aus dem Frankenland. Stammen seine Berichte gar nur aus zweiter Hand, von persischen Reisenden? Warum sonst sind alle chinesischen Namen in Persisch geschrieben?
Im heutigen China erinnert wenig an Marco Polo. Die nach ihm benannte Brücke in der Nähe Pekings, während der Kulturrevolution ein bevorzugter Hinrichtungsplatz, wird nur von den Ausländern so genannt. Sein Name ist zwar vielen Chinesen geläufig, meist hält man ihn aber für einen holländischen Seefahrer. Und doch liegt das Thema Marco Polo bei den Postzugängen der italienischen Botschaft in Peking an zweiter Stelle – weit abgeschlagen hinter Ratschlägen zur Rettung des Schiefen Turms von Pisa. Frank Suffa-Friedel
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