Marburger Immobilienskandal: Verurteilt, aber nicht ausgeflippt
In Marburg sind erste Urteile gefallen. Der Prozess zeigt die Schwierigkeiten der Justiz, Zocker in die Schranken zu weisen.
Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft Marburg gegen mindestens 16 Tatverdächtige. Sie sollen Millionenkredite erschwindelt haben, in dem sie dieselben Häuser und Wohnungen mehrfach hin und her verkauft haben. Polizei und Staatsanwaltschaft haben unter anderem zwei Banken und zahlreiche Büros und Privatwohnungen durchsucht. 40.000 Telefongespräche wurden abgehört.
Leidtragende des mutmaßlichen Zockerrings waren und sind weiter die MieterInnen, die von den neuen Eigentümern mit Mieterhöhungen zur Kasse gebeten wurden. Banken und PrivatanlegerInnen müssen wohl Millionen Euro abschreiben, weil die abenteuerlichen Wertsteigerungen, die den Kaufverträgen zugrunde lagen, nicht seriös kalkuliert waren. Ob und wann die laufenden Ermittlungen allerdings zu weiteren Anklagen und Strafprozessen führen, ist längst nicht ausgemacht.
Dieser erste Prozess offenbarte nämlich die Nöte der Justiz, einzelnen Beschuldigten tatsächlich Betrügereien nachzuweisen. Im jetzt ergangenen Urteil werden lediglich Randerscheinungen des sogenannten „Immobilienflippings“ geahndet: Notar Sven S. hatte bei der Beurkundung der Kaufverträge illegal Rabatte gewährt, um von den Geschäften zu profitieren. Sein Auftraggeber Joachim L. hatte den gesetzeswidrigen Rabatt eingefordert – eine illegale Absprache, urteilt das Gericht.
Mogul in der Provinz
Nur Matteo S., der in kurzer Zeit in Marburg und Gießen ein kleines Immobilienimperium hatte aufbauen können, trieb es nachweislich zu wild. Kautionszahlungen von mehr als 200 MieterInnen legte er nicht, wie vorgeschrieben, auf sicheren Bankkonten an. Die Gelder seien stattdessen „im Nirwana“ seiner Geschäftskonten verschwunden, sagte die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung; S. habe in Marburg „den Immobilienmogul gemimt“, mit schnellen Autos und einem aufwendigen Lebensstil. Auch weil er immer wieder ohne Führerschein fuhr und für die Gründung einer GmbH hinterlegtes Geld kurz nach Unternehmensgründung wieder abzog, bleibt er in Haft.
Für eine Verurteilung wegen Betrugs muss die Staatsanwaltschaft in jedem Einzelfall nachweisen, dass in Kaufverträgen tatsächlich überhöhte Werte dokumentiert sind. Die Geschädigten solcher Betrügereien wären wohl vor allem die Banken. Doch laut Auskunft der Staatsanwaltschaft hat bislang keines der betroffenen Kreditinstitute eine Betrugsanzeige eingereicht. Zum einen fürchten sie wohl um ihren Ruf, weil sie Kreditanträge zu lasch geprüft haben könnten. Zum anderen sind sie möglicherweise im Vertrauen auf außerordentliche Wertsteigerungen im überhitzten Immobilienmarkt bewusst Risiken eingegangen.
Unaufgeklärt bleiben deshalb zunächst die eigentlich interessanten Vorgänge. So muss Joachim L. zwar 250.000 Euro für gemeinnützige Zwecke zahlen. Als Immobilienkaufmann darf er indes weitermachen. „Er ist ein seriöser Geschäftsmann“, attestierte ihm sein Verteidiger und fügte hinzu: „Das sogenannte Immobilienflipping ist nicht strafbar, sondern ein legales Geschäftsmodell.“
Ein Kriminalkommissar hatte am ersten Prozesstag am Beispiel vorgetragen, wie die Chose zwischen den Angeklagten lief: Joachim L. kauft die Immobile X für 660.000 Euro, 17 Monate später verkauft er sie an Matteo S. für 1,7 Millionen Euro weiter. Nur sechs Monate später erwirbt Joachim L. dieselbe Immobilie für 3 Millionen Euro zurück. Eine Wertsteigerung von mehr als 400 Prozent, trotz Gebühren und Grunderwerbsteuer?
Sicher ist: Auf einem hochspekulativen Markt sind auch Mittelzentren wie Marburg inzwischen ein Eldorado für zweifelhafte Immobiliengeschäfte.
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