piwik no script img

Marathon Nach einjähriger Verletzungspause startet Arne Gabius am Sonntag in Hannover. Der 36-jährige nationale Rekordhalter will noch einiges ausprobierenNeue Freiheit

von Klaus-Eckhard Jost

Arne Gabius lehnt sich zurück in seinem Korbstuhl und blinzelt in die Sonne. „Die letzte harte Trainingseinheit habe ich am Freitag absolviert, jetzt folgt die mentale Vorbereitung auf den Marathon in Hannover“, sagt der 36-Jährige. Nach einem Jahr Zwangspause wegen eines Ödems am Schambein, das ihn auch die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio gekostet hat, ist es der erste Wettkampf über die 42,195 Kilometer. „Ich bin selber gespannt, wie ich mich am Sonntag schlage“, sagt er.

Der Start in Hannover ist wie ein Neubeginn für Arne Gabius. Und das mit 36 Jahren. „Ich bin entspannter als früher“, meint er und führt aus: „Ich habe gerne alles unter Kontrolle.“ Deshalb habe er immer sehr langfristig geplant. Etwa seinen Aufenthalt in Rio. Schon im Januar hatte er die Flüge und ein Hotel gebucht, für seine Frau Anne hatte er eine Akkreditierung organisiert. Und dann war wegen der Verletzung mit einem Schlag alles aus. „Ich habe gelernt, dass man nicht alles hundertprozentig planen kann und nicht zu lange im Voraus planen muss.“ Eine neue Erkenntnis.

Es klingt schon ein wenig merkwürdig, wenn Arne Gabius über seinen größten Erfolg spricht und damit nicht ganz zufrieden ist. Im Oktober 2015 hat er den Frankfurt-Marathon in 2:08,33 Stunden absolviert. Damit hatte er die 27 Jahre alte Bestmarke des Dresdner Jörg Peter um 14 Sekunden unterboten. „Ich hätte schneller laufen können, wenn ich lockerer gewesen wäre“, sagt Gabius heute. Um noch schneller zu sein und eine gute Platzierung bei Olympia zu erreichen, hatte er danach sein Training noch einmal intensiviert. Und die Schmerzen ignoriert.

In der erzwungenen Pause ist sich der Hamburger, der seit vielen Jahren in Stuttgart lebt und ein Medizinstudium an der Universität Tübingen abgeschlossen hat, auch über seine Zukunft klar geworden. „Ich will mich die nächsten Jahre auf den Sport konzentrieren“, sagt Gabius. Und zwar bis mindestens zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio. Bis dahin will er die Liste mit Marathons abgehakt haben, bei denen er unbedingt noch laufen will: Berlin, Boston und New York. „Da habe ich richtig Lust drauf.“

Und so genießt der Ausdauerläufer seine Freiheit. Die wird ihm tagtäglich bewusst. Auf dem Weg zu seinen Trainingsstätten muss er zwangläufig an dem Gefängnis vorbei, in dem in den 70er Jahren die RAF-Terroristen einsaßen. „Wenn ich raus auf die Felder laufe, bekommt die Freiheit des Laufens noch einmal eine ganz andere Bedeutung“, sagt er. Und grinst.

Internationale Ausrichtung

„Ich habe gelernt, dass man nicht alles hundertprozentig planen kann und nicht zu lange im Voraus planen muss“

Arne Gabius

Um diese Freiheit richtig genießen zu können, hat sich der Läufer auch von einigen Dingen befreit, die ihm Energie geraubt haben. So hat er zum Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) und dessen Trainerteam den Kontakt gekappt. Anlass war, dass der Verband das Trainingslager im Frühjahr in Kenia nicht wie vereinbart bezahlt hat. „Ich bin in der Position, dass ich den DLV nicht brauche“, sagt der Straßenläufer, der sich seit 2011 selbst trainiert. Und das nicht ohne Erfolg. 2012 wurde er Vizeeuropameister über die 5.000 Meter, danach folgte der Rekordlauf. Hilfestellung holt er sich bei Renato Canova. Der Italiener betreut die Hälfte der Marathonweltelite. Weil Deutschland auf der klassischen Strecke der Entwicklung seit Jahren hinterherhinke, so Gabius, habe er sich international ausgerichtet.

Zu Canovas Trainingsphilosophie gehört nicht nur ein umfangreiches Ausdauertraining, sondern dies beinhaltet auch eine entsprechende Geschwindigkeit. Immer wieder stehen deshalb an einem Tag drei 10.000-Meter-Einheiten auf dem Trainingsplan, jeweils unter 30 Minuten. Im Mai wird Gabius auch wieder auf die Bahn zurückkehren, für drei Rennen zwischen 3.000 und 10.000 Meter. „Mein Benefit ist die Geschwindigkeit“, sagt Gabius. Sein Potenzial sieht er etwa zwei Minuten unter seinem momentanen Rekord. Im Herbst will er den auf der Straße angreifen. In Berlin, Frankfurt oder New York.

Zunächst will Gabius, der sich selbst als Marathon-Greenhorn bezeichnet, weiter Erfahrungen sammeln. In Hannover nimmt er zum ersten Mal während des Rennens statt pures Wasser ein Elektrolytgetränk zu sich. Und hofft, damit das Rennen besser bestehen zu können. Damit er danach schneller genießen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen