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Mann ohne Eigenschaften

■ Der Charts-Stürmer Coolio über Kinder, College und Goldketten

Armer Coolio. Er schießt „Gangsta–s Paradise“ nach oben auf Platz eins der U.S., U.K. und erstmalig im Hip-Hop auch der deutschen Charts und wir sind ihm nicht einmal dankbar dafür. Inständig hofft man, daß er von seinem Song, dieser Elegie der paradiesischen Gangsterwelt, ins Grab verfolgt wird, da wir schon jetzt bis dahin verfolgt werden. Seiner Massenkompatibilität wird Inhaltsschwäche vorgeworfen. SPEX hat dem Verbrechen schon einen Namen gegeben:„Hip-Hop ohne HipHop.“

Es gibt natürlich keinen Künstler, der sich gern mit einem einzigen Song identifizieren läßt – aber früher war Coolio „Fantastic Voyage“, jetzt ist er „Gangsta's Paradise“, so wie Tesafilm eben Klebeband ist. Eigentlich ist der Song ein passabler Kommentar zum Ghettoleben mit einer hitgarantierenden Melodie von Stevie Wonder – trotzdem hat uns der Erfolg wie ein Lauffeuer überrascht. Wie konnte das nur passieren? „Ich weiß es nicht, wir hatten Glück“, sagt Coolio zur taz hamburg. Das hört sich nicht besonders nach dem „streetfighting HipHop Talk“ an, den wir gewöhnt sind.

Willkommen zum HipHop-Star, der keiner ist. Coolio ist ein Spezialist in Zurückhaltung. „Ich bin nicht der Beste. Ich kann viele Sachen ziemlich gut, aber der Beste bin ich nicht. Ich bin eher ein Allrounder.“

Keineswegs will er seine dunkle Vergangenheit als Spektakel ausschlachten, er würde sie nicht mal ungefragt erwähnen. Dennoch: drei Jahre alt, Vater weg, als Schulkind verprügelt. Falsche Freunde, bewaffnete Überfälle, Knast, Crack. Obwohl seine Ghetto-Integrität in seine South-Central-Haut eintätowiert ist, hat er es rechtzeitig herausgeschafft, indem er als Feuerwehrmann Waldbrände bekämpfte. Nun beschäftigt er sich mit der Dekonstruktion der Figur namens Coolio, die ihm die Flucht ermöglicht hat. Er duldet keine Goldketten oder Handys als Symbole des Aufstiegs. „Dafür wird man doch gehaßt.“ Augenzwinkernd listet er Baujahr und Marke seiner Autos auf, die weder neu noch teuer sind.

Würde er nicht so verdammt ernst wirken, seine Augen eine tiefere Sensibilität andeuten, die normalerweise keinen Ausweg in Hip-Hop findet, wäre Coolio eine ideale Cartoon-Figur: die Augen ein Tick zu weit auseinander unter den schlangenartigen Haaren Medusas. Manchmal verfällt sein Ausdruck in eine Art Gleichgültigkeit, die aber auch ihren Zweck hat. Denn nichts ist dem Zufall überlassen. „Es geht nicht nur darum, ein Rapper und ein Künstler zu sein, sondern auch ein guter Geschäftsmann.“

„Das was ich heute mache“, bereitet er schon den nächsten Fluchtweg vor, „wird in zehn Jahren noch Auswirkungen auf mein Leben haben: es bringt meine Kinder durch das College, es zahlt meine Rente. Ich muß das hier nicht machen. Wenn ich will, kann ich jetzt in diesem Augenblick aufstehen: 'Okay, keine Fragen mehr, keine Fotos, ich heiße nicht mehr Coolio.' Verstehst du? Niemand kann dir sagen, was du zu tun hast.“

Von „Gangsta's Paradise“ werden wir verfolgt, Coolio bestimmt nicht.

Harry Calvino

mit Aleksey: Sa, 13. Januar, Gaswerk, 20 Uhr

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