: Mann ohne Eigenschaften
Jan Peter Balkenende ist der aussichtsreichste Kandidat für den Posten des Regierungschefs in den Niederlanden
Die Skepsis war selbst in den eigenen Reihen groß, als der „Christdemokratische Appell“ (CDA) am 1. Oktober letzten Jahres Jan Peter Balkenende zum Fraktionsvorsitzenden und Spitzenkandidaten für die Wahl ernannte. „Die haben keinen besseren“, höhnten Hollands Politkommentatoren in seltener Einmütigkeit, „langweilig, ein Mann ohne Eigenschaften, wenn auch 200-prozentig zuverlässig.“ Seit Mittwochabend sieht es so aus, als würde Balkenende, der wie der ermordete Rechtspopulist Pim Fortuyn vor allem durch ständige Medienpräsenz einen kometenhaften Aufstieg erlebte, der neue Ministerpräsident der Niederlande.
Jan Peter Balkenende (45) wurden zwar kurz vor der Parlamentswahl am Mittwoch die meisten Chancen zugesprochen, hatte doch der politische Tornado, der seit einem halben Jahr unter Führung Pim Fortuyns durch das Land fegte, lediglich die Christdemokraten verschont. Aber vielen galt der aus einer streng religiösen Familie stammende Mann einer Rechtsprofessorin als „reformierter Zwischenpapst“. Der überragende Wahlsieg der CDA versetzt „JP“, wie ihn Parteimitglieder und -anhänger inzwischen liebevoll nennen, nun in die komfortable Lage, sich womöglich längerfristig auf dem Chefsessel in Den Haag einzurichten.
Der CDA hatte 1994 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Ruud Lubbers noch eine vernichtende Niederlage hinnehmen müssen. Balkenende, der 1993 eine Wirtschaftsprofessur an der Freien Universität Amsterdam annahm, hat den CDA nach acht Jahren in der Opposition wieder zu einer starken politischen Kraft gemacht. Auch die Christdemokraten haben von der Unzufriedenheit der Wähler profitiert, die von Angriffen des Rechtspopulisten Fortuyn auf die regierende Mitte-links-Koalition angeheizt worden war.
Im Wahlkampf warf Balkenende den regierenden Sozialdemokraten vor, sie seien unfähig, trotz der boomenden Wirtschaft anstehende gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Es sei eine „Tut mir Leid“-Demokratie entstanden, wo sich Minister für Versäumnisse und Fehler zwar entschuldigten, aber keine Konsequenzen zögen. Er sprach sich für verstärkte Integrationsmaßnahmen für die muslimischen Einwanderer aus. Anders als Pim Fortuyn jedoch forderte er keinen Einwanderungsstopp.
Eine Koalition mit Fortuyn hatte Balkenende zwar nie prinzipiell ausgeschlossen, er bezeichnete den Rechtspopulisten aber als „viel zu jung und unerfahren“ für einen führenden Regierungsposten.
Balkenende, Sohn eines Getreidehändlers aus der südwestniederländischen Provinz Zeeland, ist die Personifizierung der holländischen Christdemokratie. In der Partei heißt es, hinter seinem professoralen Auftreten stecke ein scharfer Verstand. Balkenende stehe hinter den Werten der Partei, einer Mischung aus konservativen Moralvorstellungen und sozialem Gewissen.
Den Christdemokraten hatte er bei seiner Wahl zum Vorsitzenden eine Erneuerung versprochen. Vor der Abwahl 1994 hatte der CDA jahrzehntelang jeder niederländischen Regierung angehört. Wie es scheint, geben die Niederländer Jan Peter Balkenende, der wegen seines Aussehens auch schon mal „Harry Potter“ genannt wird, für seinen Aufbruch einen Vertrauensvorschuss. HENK RAIJER
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