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Manipulation in RusslandOSZE kritisiert Wahl als "nicht fair"

Trotz des Erfolgs von Putin bleibt die russische Machtfrage offen. Faktisch ist Russland nach der Parlamentswahl zum Einparteiensystem zurückgekehrt.

In Tschetschenien bekam seine Partei angeblich 99 Prozent: Russlands Präsident Putin Bild: rtr

MOSKAU taz Russlands aktive Bloggerszene ließ sich von dem überwältigenden Sieg der Kremlpartei Einiges Russland (ER) bei den Dumawahlen nicht die Laune verderben. Kaum waren die ersten Hochrechnungen bekannt, die der ER mehr als 60 Prozent versprachen und ihren Spitzenkandidat Wladimir Putin in der Rolle eines "nationalen Führers" bestätigten, da wartete die Internetszene schon mit der Kreation zeitgemäßer Vornamen auf: Eine der Neuschöpfungen ist der Mädchenname "Vertikalina", abgeleitet aus dem Herrschaftsmechanismus des Kremls: die Vertikale der Macht, die bei diesen Wahlen deutlicher als je zuvor zu spüren war.

Die historische Parallele zur Einparteienherrschaft ist nicht aus der Luft gegriffen. 64 Prozent erhielt die Kremlpartei. Kommunisten, die nationalchauvinistische Liberaldemokratische Partei (LDPR) und Gerechtes Russland (GR) bringen noch einmal rund 28 Prozent der Stimmen in den gemeinsamen Korb. GR ist eine Gründung des Kremls, die als Auffangbecken für jene Abgeordneten gedacht ist, die in den Reihen der neuen Staatspartei keinen Platz mehr fanden. Niemand aus diesem Kreis wird sich dem Kremlwillen widersetzen. Faktisch kehrt Russland wieder zum Einparteiensystem zurück. Die ER kann sich nun auf eine komfortable Zweidrittelmehrheit stützen, die erforderlich wäre, um die Verfassung zu ändern und Wladimir Putin eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Im Frühjahr müsste er zurücktreten und einem Nachfolger Platz machen. Die damit verbundenen Ängste der Elite, Macht und Eigentum zu verlieren, treiben Russland um und haben zur schmutzigsten Wahl seit 1991 geführt, räumte sogar der Kommunistenchef Gennadi Sjuganow ein. Die KPRF und die demokratischen Parteien Union der Rechtskräfte (UdR) und Jabloko kündigten an, die mehr als 10.000 registrierten Verstöße gegen Wahlmodi vor Gericht anzufechten. Die beiden demokratischen Parteien kamen zusammen gerade mal auf 2,8 Prozent. Die Mitarbeiter von Golos, einer russischen Organisation von Wahlbeobachtern, stellten systematische Verstöße gegen die Wahlordnung fest. Soldaten mussten vor den Augen ihrer Offiziere abstimmen, nicht selten wählten sie an verschiedenen Orten, einmal nur mit Ausweis, andernorts mit der Wahlbenachrichtigung. Stimmen wurden gekauft, Mitarbeiter von Staatsunternehmen mit Entlassungen und Studenten mit Relegation bedroht.

WIE IN SOWJETZEITEN

Die Partei Einiges Russland von Präsident Putin hat es landesweit auf rund 64 Prozent der Stimmen gebracht. In einigen Regionen, vor allem im nördlichen Kaukasus, erzielte sie Ergebnisse, die an alte Sowjetzeiten erinnern.

Eine unvollständige Auswahl:

Tschetschenien: In Grosny, der im Jahr 2000 von der russischen Armee zerstörten Hauptstadt der Kaukasusrepublik, erzielte Einiges Russland 99 Prozent der Stimmen.

Inguschetien: 98 Prozent.

Kabardino-Balkarien: 97 Prozent.

Karatschajewo-Tscherkessien: 97 Prozent.

Mordwinien: 91 Prozent.

Tschukotka: (Gouverneur Roman Abramowitsch): 78 Prozent

Tatarstan (muslimisch geprägt):

85 Prozent.

In Putins Geburtsstadt St. Petersburg hingegen bleibt Einiges Russland mit 50 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt. Das Gleiche gilt für Moskau, wo die Partei auf 53 Prozent kam.

Der unabhängige Exabgeordnete Wladimir Ryschkow, eine der wenigen kritischen Stimmen der letzten Duma, geht davon aus, dass die offizielle Wahlbeteiligung von 62 Prozent "künstlich um 10 Prozent angehoben" und "praktisch der ER zugeschlagen wurde".

In ungewöhnlich deutlicher Form kritisierten auch Wahlbeobachter von der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates die Wahl: "Nach unserer Meinung entsprechen die Wahlen in vielen Kriterien nicht den in Europa üblichen Standards. Deswegen können wir sie nicht freie Wahlen nennen", sagte Joran Lennmarker von der OSZE. Moskau hatte die Einreise einer größeren OSZE-Delegation mit dem Hinweis vereitelt, Visaanträge seien zu spät eingereicht worden. Auch die Vertreter der parlamentarischen Versammlung des Europarates äußerten sich scharf: "Es gibt keine Gewaltenteilung im Land." Es sei ein Referendum zugunsten des Präsidenten, keine Wahl gewesen, sagte Luk van den Brande.

Fantastische Ergebnisse wurden insbesondere aus den unruhigen Republiken des Nordkaukasus gemeldet. In Tschetschenien gingen 99 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen und gaben ausnahmslos der ER und Kremlchef Putin ihre Stimme. So etwas macht misstrauisch, zumal unabhängige Beobachter in der Republik Inguschetien nicht mehr als 10 Prozent der Wähler an den Urnen entdeckt haben wollen.

Auf Flugblättern hatte die Putin-Jugend "Naschi" schon am Wahltag den "vernichtenden Sieg Wladimir Putins und seiner Partei" vorgefeiert. Genau besehen fiel der Sieg nicht ganz so "vernichtend" aus. Gegenüber den Präsidentschaftswahlen 2004 gaben Putin diesmal 7 Millionen Bürger weniger ihre Stimme. Von den 106 Millionen Wahlberechtigten stimmten 42 Millionen für das Kremlpaket aus nationalem Führer und ER. 2004 waren es 49 Millionen. Vor dem Hintergrund massiver Mobilisierung, Einschüchterung und der Propaganda einer Schicksalswahl für Russland ist das Ergebnis eher bescheiden. Putins früherer Wirtschaftsberater Andre Illarionow hält das Referendum denn auch für ein Fiasko: "Für den Präsidenten stimmten 37 bis 38 Prozent der Bevölkerung, er versteht sehr gut, dass das ein ungeheuerlicher Misserfolg ist."

Auch nach den Dumawahlen ist unklar, wie der Kreml die Machtfrage lösen will. Statt der politischen Elite mehr Sicherheit zu geben, führten die Wahlen ihr noch einmal die Instabilität des Systems Putin vor Augen. Der Präsident will die Verfassung nicht ändern, gleichzeitig aber an der Macht bleiben. Auf dieses Kunststück darf man gespannt sein. Es kann schiefgehen.

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2 Kommentare

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  • R
    Rusinform

    In diesem Blog zitiert der Autor einen russischen Oppositionellen Experten. Dieser sieht die Niederlage der Opposition als eine Chance. Die Opposition würde keine Wahl mehr haben als die Streitigkeiten einzustellen. Und da ist ja noch die Präsidentenwahl im März:

    www.dejarus.blogspot.com

  • HW
    Heidemarie Wätzold

    In "gelenkten Demokratien" gibt es keine "Freien Wahlen". Und die Bevölkerung schein in ihrer Mehrheit damit zufrieden.

    Was nützt es demokratische Standards zu fordern für Völker die damit offensichtlich nichts anzufangen wissen.

    Wir Deutsche haben doch auch so ein Dukmäuser-Gen. Solange wir im Warmen sitzen und zu viel zum Essen haben, akzeptieren wir doch alles.