piwik no script img

Manipulation im ProfifußballEin falsches Spiel

Der Absturz des ehemaligen FC St. Pauli-Profis Rene Schnitzler, der sich, getrieben von Spielsucht und Schulden der Wettmafia auslieferte, wirft viele Fragen auf.

Supermann-Emblem unter dem Trikot, Spielschulden im Nacken: Ex-St. Pauli Spieler René Schnitzler. Bild: dpa

"Ein Schlag ins Gesicht" sei es, sagt FC St. Pauli-Sprecher Christian Bönig, dass das Thema Wettmanipulation im Profifußball jetzt auf den FC St. Pauli übergeschwappt sei. Seit der ehemalige Hamburger Zweitligaprofi René Schnitzler ausgepackt hat, wegen hoher Spielschulden 100.000 Euro von einem niederländischen Wettmafiosi kassiert zu haben, um fünf Spiele des Kiez-Clubs zu manipulieren, muss sich der Verein neu sortieren. Denn auch wenn Schnitzler behauptet, zwar kassiert, aber nicht geliefert zu haben, bleiben viele Fragen offen.

Die Offensichtlichste: Haben auch andere Spieler des Kiezclubs davon gewusst, dass Schnitzler sich mit der Wettmafia eingelassen hatte? Der Spieler behauptet, zwei nicht benannte Teamkollegen, zu einem Treffen mit dem Wettpaten mitgenommen zu haben, um diesem zu beweisen, dass er Komplizen im Team habe. Denn in den ersten vier Partien, die Schnitzler verschieben sollte, war er dreimal gar nicht eingesetzt worden, zudem war das vierte Spiel - entgegen der Verabredung - nicht verloren gegangen.

5.000 Euro habe er jedem der beiden Mitspieler für ihren Auftritt bezahlt, behauptet Schnitzler. Stimmt das, dann hat es zwei bezahlte Mitwisser im Team gegeben, die Schnitzlers kriminelle Aktivitäten gedeckt haben. "Wir können nicht mehr tun, als da die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abzuwarten", sagt Christian Bönig.

Wie aber konnte es zu dieser Tragödie kommen? Der Verein will gewusst haben, dass Schnitzler gezockt hat. "Die Dimension ist uns allerdings nicht annähernd klar gewesen", sagt Bönig heute. Schnitzlers Spielsucht, die ihm ein Hausverbot in allen Hamburger Kasinos eingebracht und ihn in den Ruin getrieben hat, blieb allein sein Problem.Schnitzler, der in Gladbach, Leverkusen und Hamburg nicht nur auf dem grünen Rasen spielte, berichtet dem Magazin Stern, dass Spielsucht unter Fußballprofis Gang und Gäbe sei: "Viele Profis haben gewettet wie Wahnsinnige. 70 oder 80 Prozent der Spieler einer Mannschaft setzen auf irgendwelche Partien in irgendwelchen Ligen."

Das Thema Glücksspiel sollte man nun ernster nehmen, sagt Bönig und ergänzt: "Fußballer können offensichtlich schnell in so eine Schiene kommen." Doch andererseits könne ein Verein als Arbeitgeber nicht gegen den Willen eines Spielers tief in dessen Privatleben eindringen.

Die Wettobjekte

Diese Partien sollte René Schnitzler 2008 verschieben:

18. 5.: Mainz 05 - St. Pauli 5:1

Schnitzler kommt nicht aufs Feld.

26. 9.: Rostock - St. Pauli 3:0

Schnitzler spielt volle 90 Minuten.

19. 10.: Augsburg - St. Pauli 3:2

Schnitzler ist nicht im Team.

29. 10.: Duisburg - St. Pauli 1:2

Schnitzler steht erneut nicht auf dem Feld.

23. 11.: Mainz 05 - St. Pauli 2:2

Schnitzler wird nach 75 Minuten eingewechselt.

Schnitzler erzählt, dass ihm schon mal ein Geldeintreiber den Lauf einer Pistole an die Stirn gehalten habe. Jahrelang will er in Angst vor der Rache der Wettmafia gelebt haben, die er betrogen hatte. Sein Absturz ist kein Einzelfall. Die Diskussion, welche Fürsorgepflicht Vereine gegenüber jungen, charakterlich unausgereiften Spielern haben, die von jetzt auf gleich in eine Welt voller Glanz und Medienhype, schnellen Autos und vollen Brieftaschen geschossen werden, steht noch ganz am Anfang.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!