Berliner Szenen: Mangoschnaps eingespart
Das Freie Neukölln
Der Service fiel etwas matt aus. „Das sind nur Bilder“, sagte der neue Kellner, als meine Begleitung auf die Abbildung eines Tellergerichts deutete, das sie gern bestellen wollte. Sie bestellte dann was anderes.
Bald führten wir unsere üblichen Problemgespräche, von uns selbst abgelenkt, aber das Unbehagen, jetzt vor diesem bereits zum zweiten Mal umgezogenen Inder zu sitzen, ließ sich nicht abschütteln. Nichts gegen Inder! Wir lieben sie. Aber der hier war ein Gentrifizierungsgewinner, das war klar. Bei jedem Umzug zogen die Preise an.
Ich blickte etwas wehmütig in das Innere des Restaurants. Hier hat sich mal das „Freie Neukölln“ befunden: zu dem ich allerdings auch nicht immer das beste Verhältnis hatte. Die Küche war zum Davonlaufen, das politische Getue zu pathetisch, die Atmosphäre berufsstudentisch. Das Auftreten der Chefs in der Öffentlichkeit erzeugte oft Fremdscham. Und doch hatte ich hier Dichterrunden und Lesungen besucht, hatte mir Liebeserklärungen angehört und noch auf der Abschlussparty mit dem „Schmatz“ (LeserInnen des „Unendlichen Spaßes“ wissen, was gemeint ist) geredet.
Die Gerüchte stimmten also: Es war das indische Restaurant, das die Vertreibung mitanschob und diesen schönen neuhergerichteten Raum gleich wieder mit Indienkitsch und Restauranttinnef verschandelte. Das Geschäft lief schon wenige Tage nach Wiedereröffnung offensichtlich hervorragend. Die Küche war halt gut.
Die Einschläge kommen also näher. Anliegende Häuser werden saniert und umgewandelt, Dachgeschösser aus-, Fahrstühle ein-, Balkone angebaut. Die Eigentümer werden kommen und sich über den Lärm beklagen. Die Mieten werden horrend sein. Wir ordern die Rechnung. Den Mangoschnaps aufs Haus haben sie auch schon eingespart. Ich glaube, wir gehen hier nicht mehr hin. René Hamann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen