: Mandalas auf dem Lehrplan
■ Die Freie Schule Prinzhöfte steht in der Kritik: Die Kinder lernen viel zu wenig, stellen die Eltern fest und satteln jetzt reihenweise auf die Regelschule um
„Ich will nicht in die Schule. Ich will hier bleiben und lernen.“ Immer öfter meldet die achtjährige Marie den Wunsch an, zu Hause zu bleiben. Mutter Martina Kirchner wird skeptisch: Marie bekommt scheinbar nicht genügend Lernfutter. Das meldet sie der Schule. Aber es ändert sich nichts, konstatiert die angehende Lehrerin.
Das war im vergangenen Herbst. Es fing damit an, dass Schulprobleme abends Thema am Küchentisch wurden, wo sie eigentlich nicht hingehören, findet Martina Kirchner. Schließlich habe sie mit ihrem Mann ganz bewusst die Freie Schule Prinzhöfte für Marie ausgesucht. Die Schule in der Nähe von Wildeshausen will nach den Grundsätzen des französischen Reformpädagogen Célestin Freinet arbeiten, setzt auf Lebendigkeit und Selbstständigkeit. Aber was die Eltern dort vorfanden, war nicht das, was sie sich erhofft hatten. Hier ein bisschen Mandalas malen, dort ein wenig töpfern oder Wolle spinnen.
So etwas gehört eigentlich in die Volkshochschule, das meint zumindest Rena Ziegler. Auch sie, Grundschullehrerin und Mutter von Lasse und Sören, hatte sich vom Prinzhöfter Projekt-Unterricht etwas anderes versprochen. Fehlendes Konzept, beliebiger Lehrplan, so fasst sie jetzt ihre Beobachtungen zusammen. 20 der 60 SchülerInnen haben inzwischen die Schule verlassen, wenngleich nicht alle wegen der elterlichen Kritik am Unterricht.
Schulleiter Lutz Wendeler weist die Vorwürfe zurück. Jeder Schultag sei aufgeteilt in bestimmte Aktivitätszonen, jedes Kind bestimme, was es wann, wie lange und mit wem lernen will. So haben die Lehrkräfte einen genauen Überblick darüber, was die Kinder tatsächlich tun. Anders als im Frontalunterricht, wo sie zwar interessiert gucken, aber nichts verstehen, meint Lutz Wendeler. Prinzhöfte dagegen arbeite nach der Vorstellung, dass die Schüler lernen, sich selbst zu organisieren. Und er fügt hinzu: „Nicht alle Kinder kommen mit der gebotenen Freiheit zurecht.“
Martina Kirchner findet, dass mit der gebotenen Freiheit äußerst mangelhaft umgegangen wird. Sie gibt inzwischen Nachhilfe für sieben Prinzhöfter Kinder, die den Sprung in die staatlichen Schulen schaffen sollen. Viele der Kinder können sich nur sehr schwer konzentrieren, sagt sie, und vom Fachlichen her biete sich ihr eine Katastrophe: Viertklässler zählen einfache Minusaufgaben an den Fingern ab, Drittklässler können Silben nicht zusammenfügen.
„Ob ein Kind in der zweiten oder vierten Klasse anfängt, Rechnen, Schreiben und Lesen zu lernen, spielt keine Rolle“, sagt dagegen Schulleiter Lutz Wendeler. In Prinzhöfte entscheiden das die Kinder selber, anstatt in einen starren Lehrplan gepresst zu werden.
Schwierigkeiten gebe es wie überall, und um sie auszuräumen, brauche man monatelange, manchmal jahrelange Geduld. Hier sieht Wendeler die Eltern in der Verantwortung: Sie müssen ihre Kinder begleiten. Dabei komme es weniger auf die fachliche Kompetenz, vielmehr auf die Persönlichkeitsentwicklung an. Wenn Eltern aber bloß darauf wertlegten, dass die Lernergebnisse eins zu eins die einer Regelschule seien, dann ist seine Botschaft: „Da habt ihr euch im Schulkonzept vertan.“
Aber gerade wegen des tollen Schulkonzeptes sei sie mit ihrer Familie extra von Konstanz nach Harpstedt gezogen – Martina Kirchner schüttelt den Kopf. Nein, im Schulkonzept habe sie sich nicht vertan. Aber es fehlen Lehrerinnen und Lehrer, die in der Lage sind, die Fähigkeiten jedes einzelnen Kindes zu stärken. Rena Ziegler stimmt dem zu: Auch sie sei über die Qualifikation der einzelnen Lehrkräfte nur ungenügend informiert worden und habe feststellen müssen, dass einige Lehrer kein zweites Staatsexamen haben.
Ob die Prinzhöfter Lehrer ein Staatsexamen haben oder nicht, das ist unerheblich, findet Lutz Wendeler. Lieber arbeite er mit einer Kunsttherapeutin, die ein Händchen für Kinder hat, als mit irgendeinem ausgewiesenen Lehrer. Und im Übrigen sei jede Lerngruppe in Prinzhöfte mit LehrerInnen ausgestattet, die eine entsprechende Qualifikation und die Lehrerlaubnis der Bezirksregierung mitbringen.
Martina Kirchner hat das wenig überzeugt. Ihre Tochter Marie besucht seit Februar die staatliche Grundschule in Harpstedt und kommt dort sehr gut zurecht.
Auch Maries Freund Sören hat sich laut Mutter Rena Ziegler schnell in seiner neuen Klasse eingelebt. Viel schwieriger fand sie selbst die Trennung von Prinzhöfte. Die war schmerzhaft, sagt sie, nach all der Arbeit und Energie, die sie in die Schule gesteckt habe: ständige Elternabende, enge persönliche Bindungen innerhalb der Elternschaft. Jetzt ist nichts mehr davon da, aber irgendwie scheint Rena Zieglerr auch ein wenig erleichtert: „Ich war betriebsblind und habe den Blick nach außen verloren. Jetzt passe ich auf, dass ich in solch eine Sache nicht nochmal reinrutsche“.
Claudia Plaß
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