: Manchmal sogar romantisch
KUNST Die Bremer Fotografin Pia Pollmanns widmet sich einer Ästhetik der Archive. Das Studienzentrum für Künstlerpublikationen zeigt die Ergebnisse in einer Ausstellung
VON RADEK KROLCZYK
Archive bleiben meist unsichtbar. Man stellt sich vor, sie befänden sich in muffigen finsteren Kellerräumen oder erstreckten sich über weite und von Neonlicht beleuchtete Korridore. Man denkt an Staub und Spinnenweben, an Aktenordner, Sammelmappen und Karteikästen. Es kommen einem verschrobene, bärtige und bebrillte Archivare in den Sinn. So kennt man sie, aufbereitet von der Popularkultur, als Hüter von Geheimnissen, die außer ihnen niemand versteht – und für die sich niemand sonst interessiert.
Und tatsächlich bekommt man von dem, was in den Archiven unserer Stadt so vor sich geht, nur wenig mit. Dabei gibt es recht viele Archive in Bremen. Gesammelt werden sehr unterschiedliche Dinge: Schallplatten, Künstlerbücher, Demoplakate, Tagebücher und Firmenunterlagen. Manchmal liest man in der Zeitung von Überlegungen, dem einen oder anderen Archiv die Mittel zu kürzen oder es gar ganz zu schließen. Dann findet man ein paar Tage darauf Leserbriefe von Experten, die gegen diese Pläne protestieren. Dann ist die Rede von der Rolle des Archivs als Gedächtnis einer Gesellschaft. Das versteht man, wenn auch nur abstrakt. Denn auch dann bleiben die Archive ungreifbar. Eine eigene Ästhetik der Archive würde vielleicht begreifbarer machen, was in so einer Institution vor sich geht und was gesammelt wird.
An einer solchen Ästhetik der Archive versucht sich die Bremer Fotografin Pia Pollmanns. Der Arbeitskreis Bremer Archive zeigt derzeit im Studienzentrum für Künstlerpublikationen in der Weserburg ihre Ausstellung „was bleibt“. Die 1980 in Wülfrath geborene Pollmanns hat sich dafür mit dem Innenleben verschiedener Bremer Archive beschäftigt. Und Teile davon mit ihrer Fotokamera an die Oberfläche geholt. Das gibt dem Archivarentum eine Gestalt. Und die ist nicht selten hübsch, manchmal sogar ein wenig romantisch.
So wie auf ihren Aufnahmen aus dem Landesfilmarchiv. Silbern glänzende Filmdosen und bedruckte Pappschachteln für Glasdias liegen in den Holzregalen. Was ist wohl darauf zu sehen? Man möchte sich einen Tag lang eingraben und das Material sichten. Eine Aufnahme aus dem Archiv von Radio Bremen zeigt eine Schallplatte in einer unbeschrifteten braunen Hülle. Vielleicht verbirgt sich eine interessante Rarität dahinter? Die Masterpressung für eine nie produzierte Platte mit Liveaufnahmen von John Cage oder La Monte Young in Bremen? Höchst unamtlich wirken die Leitz-Ordner auf einer Aufnahme aus dem Archiv der sozialen Bewegungen im Infoladen St.-Pauli-Straße: „Bambule“ oder „Kurdistan 1995“ steht mit krakeliger Textmarker-Schrift auf den Etiketten. Ein anderes Bild aus dem Archiv zeigt eine Schachtel mit Anti-AKW-Ansteckern in spanischer, polnischer und deutscher Sprache. Aufbewahrt werden hier Dokumente linken Widerstands. Die Bilder alter Musikzeitschriften und Schallplatten stammen aus dem Klaus-Kuhnke-Archiv in der Dechanatstraße, dem größten Archiv für Popmusik in Deutschland. Man kann sich dort in aller Ruhe stundenlang durch die Geschichte des Jazz, Punk oder Folk hören.
Die Einladungskarte der Ausstellung zeigt einen Umschlag, aus dem ein Tiger-Glanzbild herausschaut. Pollmanns hat es im Focke-Museum ausfindig gemacht. Dort werden persönliche Dokumente verstorbener Bremerinnen und Bremer aufbewahrt. Welches das eigenartigste Archiv gewesen sei? Pohlmanns kann sich nicht entscheiden. „Vielleicht das Bohrkernarchiv im Marum, einem Institut für Maritime Forschung. Die lagern dort Bohrproben aus Sand und Schlacke aus dem Meer“, erzählt sie.
Das Studienzentrum für Künstlerpublikationen, in dessen Räumen die Ausstellung stattfindet, ist es gewohnt, seine Archivalien auszustellen. Der Ursprung des Studienzentrums liegt in einer privaten Sammlung: Der Belgier Guy Schraenen trug seit den 60er-Jahren alternative Publikationen in seinem „Archive for small press & communication“ zusammen. Darin sammelte er von Künstlern gestaltete Briefe, Bücher, Schallplatten, Flyer und Einladungskarten. Im persönlichen Austausch mit Künstlern hatte er sie über Jahre hinweg zusammengetragen, darunter Arbeiten wichtiger Künstler wie Christian Boltanski, Dieter Roth, Sol LeWitt, John Cage und Dick Higgins. Schraenen bedauerte, dass sie nie wie Kunstwerke behandelt würden, stets zeige man sie mit dem Rücken zum Publikum. Man war hier von Anfang an um eine Ästhetik des Archivs bemüht.
■ Bis 17. November, Weserburg