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Manche Leute brauchen den Tod

Patricia Evangelistas Memoir „Some People Need Killing“ zeichnet die exzessive Gewalt des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte nach. Ihr Buch ist auch eine kleine Geschichte des Landes

Von Ulrich Gutmair

Some People Need Killing“ erzählt „eine Geschichte der Morde in meinem Land“, wie der Untertitel allzu bescheiden ankündigt. Denn es ist nicht nur „a memoir“, wie es im Original heißt, sondern die Geschichte der „außergerichtlichen Tötungen“ unter der Herrschaft von Präsident Rodrigo Duterte in den Philippinen. Zukünftige Historiker werden sich auf dieses Werk berufen.

Patricia Evangelista, die Autorin des 2023 erschienenen Buchs, bezeichnet sich selbst als Traumareporterin. Sie hat etwa über die Folgen des Taifuns „Hayan“ berichtet. Vor allem aber steht ihr Name für Artikel und Reportagen, die sie für das philippinische Onlinemedium „Rappler“ geschrieben hat über die Morde an Drogendealern und ihren Kund*innen, denen Präsident Duterte den Krieg erklärt hatte, aber auch an Menschen, die sich zufällig am falschen Ort befunden haben. Offiziell starben fast 8.000 Menschen in diesem „Krieg“ gegen die eigene Bevölkerung. Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen gehen jedoch von um die 30.000 Toten aus.

Sie fielen gezielten Exekutionen durch Polizisten oder von der Polizei befehligten „Bürgerwehren“ zum Opfer. Duterte hatte dies zu seinem zentralen Wahlkampfthema gemacht und zuvor als langjähriger Bürgermeister von Davao deutlich gemacht, dass er nicht in Metaphern sprach, wenn er ankündigte, Krieg gegen Leute zu führen, „die mein Land zu zerstören drohen“. Unter seiner Ägide operierten in Davao Todesschwadronen, die ihre Befehle direkt vom Bürgermeister erhielten.

Patricia Evangelista: „Some People Need Killing: Eine Geschichte der Morde in meinem Land“. Aus dem Englischen von Zoë Beck. CulturBooks, Hamburg 2025, 368 Seiten, 28 Euro

Als Präsident dehnte Duterte die Gewalt über das gesamte Archipel aus. Er trat sein Amt am 1. Juli 2016 an, und an diesem Tag begannen die Tötungen. Jimmy Reformado, ein gesuchter Drogenhändler in der Stadt Tiaong, wurde von „unbekannten Auftragsmördern“ erschossen, wie es offiziell hieß. Tags darauf traf es Victorio Abutal, einen Dealer in Lucban, der „von Auftragsmördern vor den Augen seiner Frau“ getötet wurde.

Diese Formulierung wird sich noch oft wiederholen, es häufen sich aber auch die Fälle, in denen Menschen von der Polizei erschossen wurden, weil sie „deren Anwesenheit bemerkten und zur Waffe griffen“. Zeugen berichten, dass die Polizisten bei solchen geplanten Tötungen Waffen mitbrachten, die sie nach erledigter Arbeit zu den Opfern legten. Zu Beginn von Dutertes Amtszeit war die Zahl der Getöteten an manchen Tagen zweistellig.

Evangelistas Job bei Rappler war seit dem Beginn von Dutertes Präsidentschaft, über diese Tode zu berichten. Doch eines Tages wurde es auch für sie gefährlich. Sie arbeitete damals an einer Geschichte über eine Serie von Tötungen in der Hauptstadt Manila. Die Reporterin suchte nach Zeugen, studierte Polizeiberichte und traf Männer, die detailliert beschrieben, wie sie ihre eigenen Nachbarn auf Befehl von oben getötet hatten. Evangelista fragte bei Polizisten Interviews an, die von den Tätern beschuldigt wurden, die Exekutionsaufträge erteilt zu haben. Rappler entschied, dass es in Manila zu gefährlich geworden sei für die Journalistin. Ihre Geschichte erschien erst, als ihr Flugzeug im Oktober 2018 von der Startbahn Richtung USA abgehoben war.

Der Stress, dem die Reporterin durch ihre Arbeit ausgesetzt war, zeigte sich bei ihrer Ankunft am Flughafen JFK in New York, erinnert sich Evangelista: Beim Ausfüllen der Einreiseformulare checkt sie in ihrem Pass, ob sie ihren eigenen Namen richtig geschrieben hat. Zuvor hatte sie nächtelang wach gelegen, aus Angst, ein falsch gesetztes Komma könne eine Verleumdungsklage nach sich ziehen: „Die praktische Vorsicht, die eine Reporterin im Drogenkrieg an den Tag legen muss, hatte sich in eine beinahe lähmende Paranoia verwandelt“, die sich allerdings auch oft als berechtigt erwiesen hatte.

In sechs Monaten benutzte Duterte 1.254-mal das Wort „töten“

In ihrem Buch beschreibt Evangelista präzise, was sie gesehen, gehört und herausgefunden hat. Ihr Buch ist aber auch die Geschichte ihrer Familie: Schon ihr Großvater war ein bekannter Journalist, er schrieb ein Buch über die Ankunft des Spaniers Magellan, der von Giftpfeilen niedergestreckt wurde, als er die Inseln der spanischen Krone einverleiben wollte.

Evangelista erzählt so auch die Geschichte der Menschen, die wir heute als Filipinos kennen und die sich stets gegen die Kolonialmächte wehrten, von denen sie immer wieder betrogen wurden – zuletzt von den Amerikanern, die sich den Widerstand der einheimischen Bevölkerung im Kampf gegen die Japaner zunutze machten, dann aber für weitere 48 Jahre dominierten. Evangelista erinnert an die Diktatur des Ehepaars Marcos und an die nachfolgende Herrschaft Corazon Aquinos.

Manila, November 2017: De­mons­tran­t*in­nen fordern ein Ende der Morde Foto: Jes Aznar/getty

Dutertes Krieg gegen die Drogen brachte auch eine eigene Sprache hervor, was Evangelista zu sprachphilosophischen Überlegungen animiert. Sie zählt mit: In den ersten sechs Monaten seiner Präsidentschaft benutzte Duterte 1.254-mal das Wort „töten“, in einer Reihe von Zusammenhängen und gegen verschiedene Widersacher gerichtet: „Präsident Duterte sagte, tötet die Abhängigen, und die Abhängigen starben. Er sagte, tötet die Bürgermeister, und die Bürgermeister starben. Er sagte, tötet die Anwälte, und die Anwälte starben. Manchmal waren die Toten keine Drogendealer, korrupte Bürgermeister oder Menschenrechtsanwälte. Manchmal waren sie Kinder, aber sie wurden trotzdem getötet, und der Präsident nannte sie Kollateralschäden.“

„Some People Need Killing“, manche Leute brauchen den Tod, ist das Zitat eines Mannes, der für den Präsidenten getötet hat und sich für rechtschaffen hält, wie er Evangelista erklärt. Man kann vermuten, dass er seinem Präsidenten Glauben schenkte, der oft vom Töten, nie von Mord sprach. Die hohe Zustimmung für Duterte erklärt Evangelista unter anderem damit, dass er stets behauptete, er setze sich für die Armen ein. Um ihn wählen zu können, meint sie, musste man glauben, dass Duterte ein guter Mann sei, man musste an das Schicksal und an Gott glauben und schließlich daran, dass Gott eine Vorliebe für todbringende Autokraten habe.

An Stellen wie diesen kann man erkennen, dass Evangelista, die ihre Arbeit sehr ernst nimmt, vielen von Dutertes Opfern einen Namen gibt und ihre Familien zu Wort kommen lässt, manchmal nicht anders kann, als sich von der Alltäglichkeit des Tötens durch schwarzen Humor zu distanzieren. Sie hat ein beeindruckendes Buch geschrieben.

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