„Man weiß nicht mehr, was es für ein Zug ist“

■ betr.: „Unter der Käseglocke“ (Vilsmaiers „Comedian Harmo nists“), taz vom 27./28.12. 97

Zunächst möchte ich einige rein sachliche Fehler in der Filmkritik von Birgit Glombitza richtigstellen: Frommerman schrieb anfangs nur Partituren für vier, später für fünf Stimmen (Fechner, „Die Comedian Harmonists“, S.169), nie sechsstimmig. Der Pianist Bootz war 21 Jahre alt, nicht 19, und Leschnikoff trug nun einmal einen Pomadenschnauzer.

Daß die sechs Sänger bei vielen Frauen nicht nur Abscheu erregten, bringt Vilsmaier nicht zuletzt durch die Szenen im Nachtclub zum Ausdruck. Ob man ihm das vorwerfen kann, wage ich zu bezweifeln, das Kultur- und eben auch das Nachtleben im Berlin der 20er Jahre hatten vermutlich wenig mit der Jugend von Frau Glombitza gemein. Und vielleicht gibt es ja ab und zu auch noch „Damen“, die den „Spargel“ nicht nur wachsen „sehen“ können.

Die Bemerkungen über die „nostalgischen Accessoires“ und die „perfekt synchronen Lippenbewegungen zum Originalton“ sind wohl eher Platzhalter, so etwas darf man wohl von einem Film im Jahre 1997 erwarten.

Außerdem ist es nicht die „inszenatorische Einfalt“, die laut Frau Glombitza die „Musikanten bis zum letzten Konzert fest in Ihre Lebensräume zurrt“, sondern alle sechs berührte bis zur Auflösung der Gruppe durch die Reichsmusikkammer das Naziregime sehr wenig. Einschließlich der drei „jüdischen“ Sänger begrüßten sie bei einem Konzert das Publikum sogar mit „Heil Hitler“ (Fechner, „Die Comedian Harmonists“, S. 236). Die Gruppe war bekannt, und es ließ sich gut und leicht viel Geld verdienen, es war nicht im Interesse der Sänger, dies aufzugeben.

Bei dem Versuch, die Worte des Musikladenbesitzers (selbst jüdischen Glaubens) „Schließlich sind wir immer noch in Deutschland“ als Ausdruck für eine schöne, schlichte Welt zu deuten, schlägt Frau Glombitza den komplett falschen Weg ein, da es für die Deutschen jüdischen Glaubens zu Beginn des Dritten Reichs wirklich unvorstellbar war, daß sie als Deutsche von Deutschen verfolgt und vernichtet werden sollten.

Den am Schluß des Filmes im Abteil „glücklich knutschenden Frommerman“ konnte ich in der mir zugänglichen Version des Films nicht erkennen, vielmehr erzeugte die letzte Kameraeinstellung mit dem fahrenden Zug ein eher beklemmendes Gefühl, man weiß auf einmal nicht mehr so recht, was es für ein Zug ist.[...] Matthias Merzbacher, Nürnberg

Einen Tag, nachdem ich selbst in einer Vorstellung von „Comedian Harmonists“ war, las ich sehr verwundert die Filmkritik in der taz. Entweder muß ich in einem anderen Film als Frau Glombitza gewesen sein, oder die Filmkritikerin hat diesen Film überhaupt nicht verstanden. Wie soll ein Spielfilm über eine Gruppe von Unterhaltungsmusikern in den 20er und 30er Jahren ohne „Entertainment“ aussehen? Lieder wegschneiden, nur Dialoge der Musiker über die Nazizeit? Gerade der krasse Widerspruch zwischen dem „Unterhalten-Müssen“ von Berufsmusikern (auch vor verachteten Nazigrößen) vor dem Hintergrund existentieller Bedrohung der drei jüdischen Gruppenmitglieder wird hautnah im Film gezeigt. Außerdem sollte Frau Glombitza wissen, daß gerade die vermeintliche Deutschtreue und der Glaube an die deutsche Obrigkeit viele Juden zu lange davon abgehalten hat, aus Deutschland noch rechtzeitig zu fliehen. Damit wird antisemitische Barbarei nicht „zivilgeredet“, sondern ein großer historischer Irrtum vieler Betroffener beschrieben. Einem Spielfilm, Spielfilmelemente (wie die verwobene Liebesgeschichte) vorzuwerfen, ist genauso absurd, wie einem Dokumentarfilm dokumentarische Szenen, zum Beispiel Erschießungen in der NS-Zeit, vorzuwerfen.

Für mich war Joseph Vilsmaiers Film ein eindrucksvolles und sensiblese Plädoyer gegen Rassismus und Gleichschaltung, verpackt in einer gut inszenierten Spielfilmversion. Noch eine Schlußbemerkung: Nach dem Film habe ich als Kinobesucher zum ersten Mal erlebt, daß im fast ausverkauften Saal kein Besucher sich von den Plätzen erhob, bis der Abspann zu Ende war. Die Betroffenheit stand vielen Zuschauern im Gesicht. Vielleicht sollte Frau Glombitza zunächst einmal mit Kinozuschauern sprechen, bevor sie einen Film genüßlich und schön akademisch geschrieben verreißt. André Voß, Schwerte