piwik no script img

„Man sieht sich ein bißchen in der Rolle des Voyeurs“

■ Ein Gespräch mit der Friedensforscherin Hanne Birckenbach über psychologische Mobilmachung für einen Golfkrieg INTERVIEW

taz: Im Frühsommer dieses Jahres waren die Europäer gerade dabei, sich auf das Ende der Nachkriegszeit einzustellen. Wie konnte ausgerechnet in diese friedliche Aufbruchstimmung hinein das psychologische Klima für einen möglichen Krieg am Golf geschaffen werden?

Hanne Birckenbach: Man kann nicht davon davon ausgehen, daß bewußt ein Klima für den Krieg am Golf geschaffen worden ist, sondern das sind eher unbewußte Prozesse, die da abgelaufen sind, die aber durch politische Maßnahmen einerseits und vor allen Dingen durch politische Interpretationen unterstützt worden sind. Man muß davon ausgehen, daß so gut wie keiner heute Krieg will, und daß das sich jetzt als kollektive Kriegsstimmungslage spiegelt, ist etwas, das eigentlich gegen Krieg ist, sich aber des impliziten Drucks zum Krieg nicht bewußt ist.

Wie kommt so eine Kriegsstimmung in Gang?

Dazu gehört erstens, daß es einen lang anhaltenden Konflikt in der Region gibt, und schon das politische Bewußtsein dafür da ist, daß das eine Krisenregion ist. Gleichzeitig aber ist jede Art von Kriegs- und Konfliktbearbeitung unterblieben, und es gibt eine Stimmungslage gegenüber der Region, die man charakterisieren kann als Ambivalenz zwischen Hoffen und Warten. Hoffen, daß die Spannungen nicht so schlimm sind, und andererseits aber Warten darauf, daß irgendetwas geschieht.

Gibt es da Drahtzieher?

Nein, die gibt es nicht. Sondern das Ganze ist eine fast logische Folge einer Sicherheitspolitik, die meint, einem Aggressor mit Eskalation begegnen zu können. Die Drahtzieher, oder diejenigen die die politische Interpretation von sich gegeben haben, sind selber Gefangene ihrer Politik und ihrer politischen Konzeptionen. Und sie drängen, sie eskalieren den Prozeß in eine bestimmte Richtung. Sie haben gesagt, „der Saddam Hussein ist die Kriegsursache“, jetzt müssen sie diese Kriegsursache bekämpfen, sie legen Handlungsziele fest, und damit eskalieren sie die Geschichte und schaffen sich gleichzeitig den innenpolitischen Druck, nicht mehr zurückzukommen. Das Bild des Drahtziehers beinhaltet nicht die unglaubliche Ohnmacht, in der sich diejenigen, die da meinen, Macht zu haben und herrschen zu können, befinden. Deshalb ist es falsch.

Hatte die Öffentlichkeit eine Möglichkeit, der psychologischen Mobilmachung zu entgehen?

Erst mal werden systematisch Handlungschancen und Möglichkeiten entzogen, das ist zunächst der Hauptmechanismus, um Kriegsstimmung zu erzeugen, aber es hätte dei Möglichkeit dennoch an jedem einzelnen Punkt gegeben. Es hat ja auch Widerstand gegeben, innerhalb der UNO war es ja nicht einfach, diese Resolution herzustellen, daß ein militärischer Einsatz erlaubt sein könnte. Aber keiner hatte bisher den Mut zu sagen, wir machen das nicht mit, wir scheiden die Option des Krieges grundsätzlich aus.

Die Entschlossenheit, „nein“ zu sagen, haben ja auch außerhalb der Regierungen nur wenige.

Es scheint insgesamt so zu sein, daß die unglaublichen Umbrüche in Europa aber auch in Deutschland, der politisch interressierten Öffentlichkeit erst einmal die Sprache verschlagen haben. Und diese Ohnmachtshaltung wird unterstützt dadurch, daß es auch ganz bequem ist, sich nicht daran zu erinnern, was man in der Anti-Nachrüstungsbewegung alles an Aktionsformen auf die Beine gebracht hat. Statt dessen sieht man sich ein bißchen in der Rolle des Voyeurs.

Kennen Sie historische Beispiele für solche Vorkriegssituationen?

Eines ist sicherlich der Erste Weltkrieg, und vieles läuft momentan nach diesem Muster ab. Beispielsweise die Reduktion des gesamten Konfliktgeschehens auf ein Ereignis. Das hat es vor dem Ersten Weltkrieg sehr stark gegeben. Widerspruch ist kaum noch zugelassen. Nicht nur weil die Herrschenden das verbieten, sondern weil es in der Bevölkerung, gerade auch in der Bundesrepublik, einen wahnsinnigen Gruppendruck, einen Harmonisierungsdruck, gibt. Einen anderen Mechanismus haben wir im Falklandkrieg gesehen, wo es Margaret Thatcher gelungen ist, die großen inneren sozialen Spannungen umzusetzen in Motivation für den Falklandkrieg. Es könnte sein, daß uns etwas ähnliches bevorsteht in Bezug auf Deutschland, also, daß die großen Probleme, die aus der Vereinigung resultieren und für die kein Mensch eine Lösung hat, durch eine militärische Aktion kanalisiert werden. Aber wir sind noch nicht an dem Punkt, wo man das genau sagen kann. Und man sollte sich auch nicht so an vergangenen Kriegsfällen orientieren, denn damit läuft man Gefahr, bestimmte Besonderheiten nicht zu sehen. Und gerade die schaffen ja die Möglichkeiten noch Handlungsspielräume zu schaffen.

Was sind denn die Besonderheiten?

Erstens gibt es ein ungeheuer hohes Gefahrenbewußtsein auf allen Ebenen. Sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung ist das Informationsniveau relativ gesehen höher. Man kann beinahe sagen, daß es so ein heimliches Rufen der Regierenden nach dem Druck der Friedensbewegung gibt, der aber nicht kommt. Aber ich vermute, es wäre eine Aufnahmebereitschaft da, wenn der Druck von unten käme. Auf der anderen Seite haben wir inzwischen eine entwickelte und erfolgreich erprobte Konferenzdiplomatie.

Sie meinen, daß im Moment ein Krieg noch vermeidbar ist?

Ja, auf alle Fälle. Ich glaube, daß die Interpretation, „wir können nichts mehr machen“, und die Erwartung, daß es Krieg gibt, Momente dieser kollektiven Stimmungslage sind, die in Krieg hineindrängt. Das ist ganz falsch. Der Appell an die Eigen- und Mitverantwortlichkeit fehlt momentan und darin liegt eine potentielle Kriegsursache.

Was sind die Standards, die immer wieder zur Rechtfertigung eines aktuellen Kriegsbeginns instrumentalisiert werden?

Das Grundmuster ist, daß es einen Bösen gibt und alle anderen sind gut. Das ist zum Beispiel die Projektion alles Negativen auf einen zu Bekämpfenden und die Selbstentlastung. Das selbstkritische Moment ist ganz schwach entwickelt. Das zweite typische ist diese Ohnmachtshaltung, wir können nichts tun, beziehungsweise wir müssen Krieg machen aus Verantwortung für den Frieden beziehungsweise für das Völkerrecht.

Gibt es etwas, worauf man achten muß, um zu erfahren, wann es losgeht?

Das geht so nicht, weil es in der Regel ein ganz unbedeutsames Ereignis ist, an dem das festgemacht wird. Und politisch ist die Orientierung darauf, wissen zu wollen, wann es losgeht, ganz falsch, sondern man muß sich immer darauf orientieren, was kann getan werden, damit es an einem spezifischen Punkt nicht losgeht. Natürlich müssen sich jetzt ganz viele Leute Gedanken darüber machen, was getan werden kann, damit es am 1. Januar oder am 15. Januar noch Möglichkeiten gibt für beide Seiten irgendeinen Rückzug zu finden, ohne daß sie ihr Gesicht verlieren.

Kennen Sie andere Beispiele, wie nichtmilitärische Lösungswege systematisch ausgeblendet werden?

Die langjährige Bürgerkriegssituation zwischen Palästinensern und Israelis ist so ein Beispiel von verpaßten diplomatischen Chancen. Sie bilden sicher auch die Vorgeschichte dieses Krieges. Interview: Dorothea Hahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen